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Archiv-Artikel

Kiewer Frühling

AUFBRUCH Janukowitsch weg, Timoschenko frei, die Russen vor der Krim. Nach der Revolution ringt die Ukraine wieder um ihre Zukunft – nicht nur auf dem Maidan. Vier Tagebücher aus einer Woche des Wandels

Die Woche nach dem Sturz

■ Montag: Gegen den untergetauchten Expräsidenten der Ukraine Wiktor Janukowitsch wird ein Haftbefehl erlassen. Ihm wird Massenmord an Demonstranten vorgeworfen. Um einen Staatsbankrott abzuwenden, benötigt das Land finanzielle Hilfe von 25,5 Milliarden Euro, sagt Interimspräsident Alexander Turtschinow.

■ Dienstag: Der frühere Chef des Präsidialamts Andrej Kljujew, ein Vertrauter Janukowitschs, wird angeschossen. Oppositionsführer Vitali Klitschko verkündet seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl am 25. Mai. Die Maidan-Demonstranten fordern: „Die Regierung soll aus anerkannten Sachverständigen mit unbeflecktem Ruf und nicht aus Parteifunktionären gebildet werden.“

■ Mittwoch: Wegen Gewaltaktionen gegen Demonstranten wird die ukrainische Sonderpolizei Berkut aufgelöst. Die russische Regierung mobilisiert ihre Armee an der Grenze zur Ukraine und kündigt eine Verstärkung der Schwarzmeerflotte vor der südukrainischen Halbinsel Krim an. Dort gehen prorussische Separatisten und Anhänger der neuen ukrainischen Führung aufeinander los.

■ Donnerstag: Russland gewährt Janukowitsch Schutz. Das ukrainische Parlament einigt sich auf eine Regierungskoalition unter dem Motto „Europäische Wahl“. Vorläufiger Regierungschef wir Arseni Jazenjuk, der Vorsitzende der Vaterlandspartei von Exregierungschefin Julia Timoschenko. Auf der Krim besetzen bewaffnete pro-russische Demonstranten den Regierungssitz. Das ukrainische Parlament bittet offiziell um Finanzhilfe des Internationalen Währungsfonds. Die Währung Hrywnia befindet sich im freien Fall.

■ Freitag: Am frühen Morgen wird auf der Krim der Flughafen von Simferopol und ein Militärflughafen von Bewaffneten besetzt. Sie ziehen kurz darauf wieder ab. Um einen Finanzkollaps zu verhindern, begrenzt die ukrainische Zentralbank Kontoabhebungen auf 1.100 Dollar pro Tag. Interimspräsident Turtschinow entlässt seinen obersten Militärchef.

VON PAVLO VOYTOVYCH, OLHA MARTYNYUK, JURIJ SULIMA UND ANASTASIA MAGASOVA

Montag, 24. Februar, morgens

Pavlo Voytovych, Lemberg: Politik interessiert mich eigentlich nicht so sehr, aber seit drei Monaten checke ich jeden Morgen die Nachrichtenlage. Heute ist der „Morgen der Trauer“: Die Ukraine trauert um die Opfer des Janukowitsch-Regimes. Das Land wird jetzt eine weitere schwierige Phase durchleben. Keiner sollte denken, die Revolution sei schon vorbei. Nur der grausamste Teil liegt hinter uns. Wir haben uns alle im Kampf gegen die alten Machthaber verbündet. Jetzt muss jeder den Kampf mit sich selbst aufnehmen und seine eigene Mentalität hinterfragen, seine moralischen Prinzipien. Wir müssen eine neue Gesellschaft in einem neuen europäischen Land aufbauen. Wir haben den Drachen getötet, jetzt ist es Zeit, die Burg zu erneuern. Lasst uns weiter kämpfen!

Anastasia Magasova, Simferopol: Eine Frau um die 40 liest eine Zeitung, die sie irgendwo kostenlos bekommen hat. Sie hat Angst, dass „Faschisten und Westukrainer“ – so nennt sie die Demonstranten des Euromaidan – auf die Krim kommen und sie zwingen, Ukrainisch zu sprechen. Das hört man häufig von Bewohnern der Krim. Man sollte meinen, dass es heutzutage kein Problem mehr ist, sich verlässliche Informationen zu beschaffen. Die Mehrheit der Leute, die in der Sowjetunion aufgewachsen sind, ist es aber offenbar nicht gewöhnt, sich selbst ein Bild zu machen. Die meisten schauen russisches Fernsehen, und das sendet sehr einseitige Nachrichten.

Montag, 24. Februar, abends

Pavlo Voytovych, Lemberg: Lemberg war stets die erste Stadt, die sich gegen Diktatoren auflehnte, und alle anderen Städte warteten nur darauf, dass Lemberg sich erhob, damit sie sich anschließen konnten. Abends laufe ich durch die Straßen und begegne vielen militärisch gekleideten Leuten, die Schlagstöcke tragen. Sie haben Abzeichen auf der Kleidung, die sie als „Lemberger Bürgerwehr“ kennzeichnen. Ich habe gehört, dass diese Bürgerwehren schon mehrere Straftaten verhindert haben, darunter auch eine Vergewaltigung. Sie mögen auf Außenstehende beängstigend wirken. Aber sie sind unsere Beschützer und vertrauenswürdiger als die Polizei. Ich bin so stolz auf Lemberg!

Jurij Sulima, Charkow: Zum ersten Mal übernachte ich als Mitglied der Bürgerwehr im Verwaltungsgebäude von Charkow. Es liegt auf einem der größten Plätze Europas. Normalerweise hätte ich für den Sturm und die Blockade von staatlichen Verwaltungsgebäuden verurteilt werden können. Aber nicht diesmal. Am Samstag war der Sitz der Regionalregierung freiwillig den Revolutionären des friedlichen Euromaidans von Charkow überlassen worden. Am Sonntag fand dann vor dem Verwaltungsgebäude eine Demonstration gegen den Euromaidan statt. Die prorussischen Demonstranten bezeichnen uns als „faschistische Unruhestifter, die die Stadt besetzen und den Regierungssitz in Trümmer legen wollen“. Der Streit entzündet sich auch immer wieder an den Lenin-Denkmalen. Ein Zug von 30.000 Euromaidan-Anhängern endet am Samstag vor einem solchen Denkmal. Sie beschließen, es zu demontieren.

Montag, 24. Februar, nachts

Olha Martynyuk, Kiew: Eigentlich sollte ich wohl Geld verdienen, aber die Sonne scheint heute so wunderbar. Der Frühling ist da, und man muss doch einfach raus ins Freie. Ich schnappe mir zwei Wasserbehälter, um sie an der Straßenpumpe zu füllen, das Leitungswasser ist hier nicht so gesund. Kurz bevor ich das Haus verlasse, ruft mich ein Freund an und erzählt mir, dass sich das Volk vor dem Parlament versammelt, weil heute der neue Kulturminister gewählt werden soll. Obwohl mich der neue Bildungsminister eigentlich viel mehr interessiert, lasse ich die Wasserbehälter stehen und nehme die U-Bahn. Vor dem Parlament stehen viele Menschen, die „neue Leute an die Macht“ und „Lustration“ skandierten. Ich weiß gar nicht was Lustration bedeutet. Bevor ich ins Bett gehe, schlage ich das Wort auf Wikipedia nach. Für die Ukraine würde Lustration also bedeuten, den Janukowitsch-treuen Beamten den Zugang zu Ämtern in der neuen Regierung zu verweigern. Die Wahl des Kulturministers oder die des Bildungsministers wird an diesem Tag dann gar nicht diskutiert.

Dienstag, 25. Februar, vormittags

Pavlo Voytovych, Lemberg: Kommt schon, Leute! Was ist euer Problem? Ich fahre durch das Stadtzentrum von Lemberg und merke: Niemand hält sich mehr an die Verkehrsregeln. Rote Ampeln werden einfach ignoriert. Wenn die Menschen ihr Land verändern wollen, warum ändern sie sich nicht selbst? Im Radio wird über eine freiwillige Verkehrspolizei berichtet. Sie hilft der staatlichen Polizei, die zurzeit unfähig ist, den Verkehr zu kontrollieren. Eine Polizei, die mehr Verkehrsdelikte ahndet und unbestechlich ist? Okay, ich werde Verkehrspolizist!

Olha Martynyuk, Kiew: Heute geht es in meinem Uni-Kurs darum, meine Studenten mit jungsteinzeitlicher Geschichte vertraut zu machen, während da draußen doch gerade historische Ereignisse passieren. In den Pausen diskutieren die Studenten über die getöteten Zivilisten und die Pressefotos aus der besetzten Präsidentenvilla. Es ist ein seltsames Gefühl, dass alle eigentlich nur über das eine Thema sprechen wollen, aber wir uns an den Lehrplan halten müssen. Die Geschichte überholt einfach immer wieder die Geschichtslehrpläne.

Dienstag, 25. Februar, nachmittags

Anastasia Magasova, Simferopol: Ein 17 Jahre alter Junge erzählt mir von dem Schock, den er gerade erlebt. Er bereitet sich auf seine Aufnahmeprüfungen für die Universität vor und hofft, dass die Krim sich Russland anschließen werde. Warum das die bessere Lösung ist, kann er nicht sagen. Er lernt in der Schule ungern die ukrainische Sprache und ist überzeugt, dass das Ukrainische aussterben wird, wenn die Krim einmal Teil Russlands ist.

Dienstag, 25. Februar, abends

Pavlo Voytovych, Lemberg: Nach Stunden vor dem Computer mache ich einen Spaziergang. Die Straßen sind fast menschenleer. Ich weiß nicht, warum, aber statt Euphorie herrscht eine geisterhafte Stimmung. Ein Gefühl von Leere ist allgegenwärtig. Die Menschen scheinen noch immer den kurzen, aber doch schrecklichen Kampf zu verarbeiten.

Jurij Sulima, Charkow: Es ist bemerkenswert, was auf beiden Seiten der Protestierenden in Charkow passiert. Die Leute vom Euromaidan haben einfach alles da: medizinische Nothilfe, Pressezentrum, IT-Zentrum, Küche, Kantine, Schlaf und Erholungsräume. Auch der prorussische Anti-Maidan beeindruckt: durch die Entschlossenheit und Mobilität seiner Anhänger – aber auch durch den Alkohol, der gratis an alle ausgeschenkt wird, auch an Kinder und Jugendliche. Die Anhänger beider Seiten sind absolut kompromisslos. Täglich wird man von allen mit Fehlinformationen und Schreckensbildern bombardiert. Die Teilnehmer der prorussischen Meetings behaupten, dass ihre Kontrahenten keine Charkower sind, sondern Angereiste aus dem Westen der Ukraine. Die Euromaidan-Aktivisten erzählen, 300 russische Marinesoldaten fahren von der Krim nach Kiew, um den Maidan zu räumen. Maidan-Aktivisten werden von ihren Gegnern verprügelt oder mit heißem Tee übergossen.

Anastasia Magasova, Simferopol: Ich lese auf Facebook viele Posts und Aufrufe von Uniprofessoren oder Journalisten, den Provokationen nicht zu glauben und eine Eskalation auf der Krim zu vermeiden. Einfache Menschen hier haben aber keinen Zugang zum Internet. Sie sehen fern. Dort heißt es, sie sollen auf die Straße gehen, ihre Heimat, die Krim, sei in Gefahr.

Mittwoch, 26. Februar, mittags

Pavlo Voytovych, Lemberg: Ich merke immer mehr, wie sehr mich der Maidan verändert hat. Wenn mir die nötige Motivation für etwas fehlt, rufe ich mir ein bestimmtes Erlebnis von dort ins Gedächtnis und bin sofort wieder voller Tatendrang. Während meines zweiten Trips nach Kiew halfen ein Freund und ich beim Barrikadenbau. Da kam eine alte Frau auf uns zu und bot uns frischen Tee aus ihren Thermoskannen an. Wegen der harten Arbeit war uns nicht kalt, trotz minus 15 Grad, aber wir freuten uns darüber. Plötzlich fing die Frau an zu weinen: „Kämpft weiter, meine Kinder, gebt nicht auf.“ Ich werde diese Frau nie vergessen, die Tränen in ihren Augen, die Wärme in ihrer Stimme. Wenn eine wie sie es vermochte, ihre schweren Taschen mit dem Tee bei strengem Frost zum Maidan zu schleppen, habe ich kein Recht, faul zu sein, vor allem wenn ich etwas für unsere Zukunft tun kann.

Olha Martynyuk, Kiew: In Kiew ist es zur Tradition geworden, am Frauentag, dem 8. März, Benefizkonzerte für Frauenrechte zu organisieren. Anschließend finden dann Partys mit DJs statt. Diesmal werden wir zusehen müssen, wie wir die feministische Agenda und die Musikevents mit dem politischen Kontext des Euromaidan verbinden. Viele Frauen sehen die Organisation der Proteste sehr kritisch: Die Männer haben gekämpft. Die Frauen durften für die Demonstrantinnen und Demonstranten kochen. Ihnen war es aber verboten, sich den Barrikaden zu nähern. Trotzdem sind viele hingegangen. Unser DJ und unsere Band für den Frauentag sind echte Revolutionäre. Wir haben uns im Krankenhaus kennengelernt, in dem wir alle als Freiwillige arbeiteten. Ständig bestand die Gefahr, dass Unbekannte oder Polizisten auftauchen und Verletzte aus den Stationen zerren. Ich wusste gar nicht, dass die anderen Musiker und Musikerinnen waren. Ich bemerkte nur, wie gekonnt sie Kontakte mit TV-Stationen und sozialen Netzwerkgruppen knüpften für den Fall, dass wirklich etwas Schlimmes passiert.

Jurij Sulima, Charkow: Vor der Stadtverwaltung wird die russische Fahne gehisst, die EU-Fahne wird verbrannt. Nicht mal der Bürgermeister der Stadt, Gennadij Kernes, kann Herr der Lage werden, die Russland-Anhänger drängen ihn einfach weg. Michail Dobkin, Chef der Regionalregierung von Charkow und Kandidat für das Amt des Präsidenten der Ukraine, tritt zurück.

Mittwoch, 26. Februar, abends

Pavlo Voytovych, Lemberg: Ich schaue mir die Fotos von Janukowitschs Villa immer wieder an. Man muss schon sehr wahnsinnig sein, um Dinge wie Brotlaibe aus Gold oder Goldmünzen mit dem eigenen Konterfei zu horten, während die Ukraine in einem Schuldenloch versinkt und das Volk nicht mal Geld für Essen hat.

Olha Martynyuk, Kiew: Auf dem Heimweg komme ich an Kiosken und Ständen vorbei, an denen es Nahrungsmittel gibt, die in Supermärkten entweder gar nicht oder nur überteuert zu haben sind. Einer der Stände hat Mandarinen im Angebot – zu 15 Hrywnia das Kilo, das sind etwa 1,20 Euro. Die Verkäuferin beachtet mich kaum und unterhält sich mit ihrer Freundin, die danebensitzt. Ukrainische Frauen, die als Saisonarbeiterinnen aus der Provinz in die Hauptstadt kommen. Manchmal leben 20 von ihnen in einem Apartment, oder sie mieten einfach ein Bett im Schlafsaal einer Arbeiterbaracke. Diese Verkäuferin hier verdient lange nicht so viel wie ein ukrainischer Bauarbeiter in Moskau oder ein ukrainisches Au-pair-Mädchen in Spanien. Ich weiß nicht, ob sie bei den Protesten dabei war. Ich weiß auch nicht, ob die neuen Verhältnisse ihre Situation verbessern.

Anastasia Magasova, Simferopol: Vor dem Parlament wird wieder demonstriert. Knapp 5.000 Krimtataren stehen Hunderten von Russen gegenüber. Die Leute gehen aufeinander los, aber der Führer der Krimtataren, Refat Tschubarow, kann die Massen beruhigen. Am Ende des Tages ist trotzdem einer gestorben – nach offiziellen Angaben an einem Herzinfarkt. Mehr als zehn Menschen werden verletzt.

Mittwoch, 26. Februar, nachts

Anastasia Magasova, Simferopol: Ein Freund ruft an. Das regionale Parlament sei von Unbekannten eingenommen worden – das Gebäude ziert nun die russische Flagge. Russische Panzer stehen vor der Stadtgrenze Simferopols. Das Zentrum ist gesperrt, Banken und Supermärkte sind geschlossen, der Verkehr liegt lahm. Man hat das Gefühl, der kleinste Funke kann zur Eskalation führen.

Donnerstag, 27. Februar, morgens

Pavlo Voytovych, Lemberg: Wie sich das Leben in nur wenigen Wochen völlig grundlegend verändern kann. Vor drei Monaten war Dmitri Bulatow ein gewöhnlicher Bürger, den keiner kannte. Aber die Revolution hatte etwas mit ihm vor. Er führte die Auto-Maidan-Bewegung an, die mit Autokorsos gegen Janukowitsch protestierte. Er wurde festgenommen und fast zu Tode gefoltert. Jetzt soll er Minister für Jugend und Sport werden. Wie muss sich das für diesen Mann anfühlen! Manche erleben in ihrem ganzen Leben nicht so viel. Er könnte ein richtig guter Minister werden.

Donnerstag, 27. Februar, mittags

Olha Martynyuk, Kiew: Gestern traf ich mich auf einen Kaffee mit einem Kollegen aus Lemberg, der den ganzen Weg nach Kiew aus einem einzigen Grund zurückgelegt hatte: Er musste seinen Visa-Antrag in die österreichische Botschaft bringen, damit er ein Seminar in Wien besuchen kann. Lemberg und Kiew liegen 541 Kilometer voneinander entfernt, die Strecke zwischen Lemberg und Wien beträgt 823 Kilometer. Immerhin, eine gute Gelegenheit, sich auf einen Kaffee zu treffen. In zehn Tagen muss er dann noch einmal nach Kiew fahren, um seinen gestempelten Reisepass abzuholen. Egal wie die Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU in Zukunft aussehen, wir brauchen dringend vernünftigere Visa-Richtlinien.

Donnerstag, 27. Februar, abends

Pavlo Voytovych, Lemberg: Jetzt haben wir also eine komplett neue Regierung. Premier Arsenij Jazenjuk hat mit seinen Ministern das Ruder übernommen. Wir werden nun sehen, ob sie genauso gut ein Land führen können wie auf dem Maidan Protestparolen rufen. Da sind sicher einige ehrenhafte Leute dabei. Aber wie viele?

Olha Martynyuk, Kiew: Meine Universität gehört zu den besten in der Ukraine. Sie hat kürzlich einen „virtuellen Lehrraum“ eingeführt. Leider verwenden die meisten Dozenten nicht einmal E-Mails, um mit den Studenten zu kommunizieren. Ich verschicke die nötige Literatur per Mail. Die Hürde ist es nun, die E-Mail-Adressen abzutippen, die mir die Studentinnen zu Semesterbeginn auf einen Zettel geschrieben haben. So etwas wie: dtf.41.rs.2013@ukr.net. Nach den ersten beiden Mails, die mit Fehlermeldung zurückkommen, werde ich richtig wütend. Kann die Universität nicht einfach ein simples Onlinekommunikationssystem einführen? Wenn das neue Bildungsministerium das nicht in den Griff bekommt, werde ich es einfach machen wie die alten Dozenten – ohne Mail.

Jurij Sulima, Charkow: Die Organisatoren des Maidan von Charkow berichten von Hetze und der Anstiftung zu ethnischen Konflikten auf beiden Seiten der Barrikaden. Hoffentlich bleibt alles friedlich, und beide Seiten agieren verantwortungsvoll.

Anastasia Magasova, Simferopol: Ein Mann, 41, erzählt mir, dass er Angst um die Krim hat. 2004 stand er während der Orangen Revolution selbst auf dem Maidan. „Meine Enttäuschung kannte kein Ende“, sagt er. Heute sieht man ganz andere Leute auf dem Platz. „Das Wichtigste ist, dass man die Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholt“, findet er. Er selbst kommt aus Feodossija im Osten der Ukraine. Seine Frau ist Russin und mag trotzdem die ukrainische Sprache und die Kultur. Sie leben schon lange auf der Krim und haben Freunde im ganzen Land: „Keiner von ihnen reibt mir unter die Nase, dass ich aus dem Osten der Ukraine bin. Wir sind wie eine große Familie – nur dass der Osten und Süden eben seine Besonderheiten haben.“

Freitag, 28. Februar, morgens

Pavlo Voytovych, Lemberg: Ich erinnere mich noch sehr gut an die Orange Revolution 2004. Ich war damals Student und protestierte in Kiew mit. Was die Regierung damals aus der Revolution gemacht hat, war grauenvoll. Ich dachte, das hätte die Ukrainerinnen und Ukrainer zu sehr erschöpft, um noch einmal aufzustehen. Glücklicherweise habe ich mich geirrt. Ich vergaß, dass die Allerjüngsten unter uns sich gar nicht mehr an die Orange Revolution erinnern. Sie wurden zum Kern des Maidan-Aufstands. Sie wollen frei sein. Sie lehnen die Grundsätze der alten Sowjetunion und die der Kommunisten ab. Sie sind die Zukunft.

Übersetzung: Ljuba Naminova, Irina Serdyuk und Florian Zimmer-Amrhein