Glamour und Terror

Der Sohn von Iris Berben hat eine Dokumentation produziert – und schwups räumt die ARD für Mutter, Sohn und Film ihr Abendprogramm

Trotz aller Liebedienerei: „Der Hölle so nahe“ ist ein Gewinn für die ARD

Von Christian Bartels

Die ARD ist eine komplex strukturierte Anstalt, in der Entscheidungen auf langen Wegen viele Gremien passieren müssen. Manchmal geht es aber auch sehr schnell. Der mächtige NDR-Intendant Jobst Plog, der stolz auf seine Beteiligung an der Akquise Harald Schmidts und Günther Jauchs für die ARD ist, sprach neulich mit Iris Berben. Die Schauspielerin erzählte ihm von einem Dokumentarfilm, den ihr Sohn Oliver gerade produziert. Plog sagte seinen Leuten: Das könnte spannend werden. Und schwups schiebt der NDR sogar die „Beckmann“-Talkshow nach hinten, um „Der Hölle so nahe“ (22.45 Uhr) ins ARD-Programm zu heben.

Es handelt sich um die Weltpremiere der exklusiv für die ARD gekürzten Fassung des 78-minütigen Films „More Than 1000 Words“, der gerade in israelischen Kinos läuft. Man tut Plog sicher kein Unrecht mit der Annahme, er könnte im Hinterkopf gehabt haben, dass die Berben ihre Kommissarinnenkrimis und Patriarchinnenmehrteiler bislang immer fürs ZDF dreht. Dennoch ist das Porträt des israelischen Fotografen Ziv Koren für das stark formatierte ARD-Programm ein Gewinn.

Der Film folgt Koren, wie er auf dem Motorrad durch das Land düst und Anschlagsopfer und Demonstrationen fotografiert. So überlagern sich in hohem Tempo das Elend des Terrors und die Nöte des Fotografen. Er schießt hunderte von Bildern am Tag und ahnt, dass vielen nicht gefällt, was die Bilder zeigen. Private Probleme kommen hinzu: Koren ist mit der TV-Moderatorin Galit Gutman verheiratet, die ein ganz anderes Leben führt. Auch wenn hier manches verkürzt wirkt: Glamour steht neben Terror; indem sie Verwirrung stiftet, gibt die schick schnell montierte Szenenfolge eine Ahnung vom widersprüchlichen Alltag in Israel.

Um die Reflexion von Kategorien wie Fotografie und Wahrheit schert sich Regisseur Solo Avital wenig, formuliert aber auch nicht die Ambition. Vielmehr unterlegt der 37-Jährige, der sich als Musikproduzent und Effekte-Experte zuvor auch mit der Supervision von Rammstein-Videoclips befasste, seine Bilder mit einem geradezu loungigen Musiksoundtrack. Wenn am Stadtrand palästinensische Jugendliche und israelische Soldaten einander in der Visualität eines Gangsta-Rapper-Videos gegenüberstehen und ungewiss ist, ob Erstere nur Proteste skandieren oder schon attackieren, entsteht irritierende Spannung.

Auch die filmische Klimax stimmt, wenn gegen Ende die bekannten Koren-Fotos von dem Bus-Attentat 1995 gezeigt werden, die aufs Time-Cover gelangten und zum „World Press Foto“ gekürt wurden. Momente der Wahrheit blitzen in einigen Aussagen des atemlosen Fotografen auf: Wenn er sich fragt, wie viele Stufen der Kriseneskalation die israelische Gesellschaft unmerklich schon durchgemacht hat, wenn er sagt: „Wir werden doch immer ungeduldiger und gereizter.“

Zu dem Zeitpunkt hat man sich auch an die Stimme des Schauspielers Ben Becker gewöhnt, der Korens Sätze auf Deutsch sehr dramatisch intoniert. Denn dem Prominenzprinzip bleibt die ARD treu. Für Gutman spricht Iris Berben. Weil das ARD-Hauptabend-Publikum nicht gewohnt ist, mit irritierenden Filmen und offenen Fragen allein gelassen zu werden, gastieren im Anschluss Ziv Koren und Frau sowie die Berbens bei Reinhold Beckmann (23.30 Uhr).

Außer über das „nicht immer unkomplizierte Mutter-Sohn-Verhältnis“ (ARD) wird über die kaum weniger komplizierte Frage „Wo liegt die Wahrheit im Konflikt zwischen Palästina und Israel?“ gesprochen. Dazu hat sicher auch Harald Krassnitzer eine Meinung. Der amtierende ARD-„Winzerkönig“ ist ebenfalls „Beckmann“-Gast.