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Archiv-Artikel

Wirre Führung

ANALYSE Die Trainer zu alt, der Nachwuchs zu schwach, die Funktionäre zu engstirnig: Jann-Luca Zinser, Ex-Juniorenmeister, über die desolaten Zustände im Eisschnelllaufverband

Jann-Luca Zinser

■ Der Eisschnellläufer, Jahrgang 1993, trainierte beim Berliner ESC sowie bei BSC 1893. Er wurde viermal deutscher Juniorenmeister, zweimal Zweiter. Sein bestes Resultat im Junioren-Weltcup war ein dritter Platz. Seine Bestzeit über 1.500 Meter: 1.55,44 Minute. Zum Vergleich der Weltrekord: 1:41,04.

In Sotschi haben die deutschen Eisschnellläufer keine Medaille gewonnen; die Hoffnungen ruhten auf einer 41-Jährigen und einer 35-Jährigen. An der Medaillenflaute dürfte sich so schnell nichts ändern, denn die Resultate der deutschen Junioren sind desolat, international spielen sie keine Rolle. Es klafft also ein ziemlich großes Loch.

Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) hat es verpasst, den eigenen Nachwuchs ausreichend zu fördern und kontinuierlich an die Spitze zu führen. Ein Generationenwechsel wurde versäumt. Die aktuellen Bundestrainer sind, gelinde gesagt, in fortgeschrittenem Alter, der ein oder andere hört jetzt auf. Junge Trainer sind Mangelware. Die ehemals in Inzell tätige Marion Wohlrab verließ Bayern Richtung USA, weil sie in der Arbeit der DESG keine Perspektive sah. Der Berliner Trainer André Unterdörfel veröffentlichte nach Pechsteins Versagen einen resigniert wirkenden Text auf Facebook.

Die Frage also ist: Quo vadis, deutscher Eisschnelllauf? Wohin führt die Reise einer olympischen Disziplin, die einst Medaillengarant bei Winterspielen war? Dieser Frage versuchten sich Verbandspräsident Gerd Heinze und Sportdirektor Günter Schumacher beim ZDF zu stellen. Letzterer versuchte sich ein wenig in Demut und übte in Ansätzen Selbstkritik, während der 71-jährige Heinze ein katastrophales Interview gab und äußerst verwirrt schien.

Die Zustände erinnern entfernt an die jüngsten und auch weniger aktuellen Geschehnisse beim Fußball-Bundesligisten Hamburger SV. Es ist für alle Verantwortlichen an der Zeit, die Lage brutal neu zu bewerten. „Kooperationen mit Inlineskating und Shorttrack “ wie Heinze forderte, reichen da nicht. Seit einigen Jahren präsentiert sich der Nachwuchs nicht nur äußerst schwach, er fällt zusehends auseinander. Die Teilnehmerzahlen bei nationalen Meisterschaften erlauben kaum einen internationalen Vergleich. Bei regionalen Wettbewerben ist die Konkurrenz teilweise zu klein für eine Medaillenvergabe.

Der Umgang mit jungen Talenten erfolgt manchmal so verantwortungslos, dass diese dem Leistungssport den Rücken kehren. In Gesprächen mit den zuständigen Trainern und Funktionären bekommt man schnell das Gefühl, dass der ein oder andere noch nicht realisiert hat, dass der Umgang mit der geringen Auswahl an Nachwuchssportlern ein anderer sein muss als in der DDR, als Massensichtungen solche Probleme lösen konnten. Daran sind in den letzten Jahren mehr als nur ein oder zwei Athleten gescheitert, die durchaus schon in jungen Jahren international erfolgreich waren.

Eisschnelllauf ist eine Sportart, die in Deutschland andere Reize schaffen und vermitteln muss als ein finanzieller Bonus. Die wenigen Talente sollte man eher mit Samthandschuhen anfassen und mit fast jedem Mittel zu halten versuchen. Keiner der Jungen und Mädchen an den Sportschulen in Berlin, Erfurt oder Chemnitz trainiert zweimal täglich, um mit Eisschnelllauf reich zu werden. Diese Kinder und Jugendlichen lieben einen sehr ästhetischen Sport und haben Spaß daran. Die Freude an der Ästhetik kann ihnen niemand nehmen, die am Trainieren schon.

Da hilft vielleicht ein junger Trainer, der gleichzeitig auch Mentor sein kann, vielleicht reicht es, wenn man aufrichtig zu seinen Sportlern ist und offen über Probleme reden kann, ohne gleich eine Krisensitzung einzuberufen. Es gilt zunächst, möglichst viele Athleten bei der Stange zu halten, deren Freude zu bewahren. Dass nicht jeder zum Leistungssportler oder gar Olympiasieger geboren ist, steht außer Frage. Trotzdem braucht auch der Beste eine Gruppe um sich, die mit ihm trainiert und ihn hin und wieder fordert.

Im ZDF wurde Präsident Gerd Heinze auch gefragt, wieso im Eisschnelllaufen keine ehemaligen Top-Athleten hohe Posten besetzen oder Trainer werden, da dies in anderen Sportarten durchaus gang und gäbe sei. Seine Antwort, dass viele „eine andere Lebensperspektive einschlagen“ und der „Trainerberuf nicht den Stellenwert hat“, mag stimmen, in Wirklichkeit ist es doch so, dass viele Athleten nach ihrer aktiven Laufbahn mit den Funktionären und Betreuern nichts mehr zu tun haben wollen.

So sagte die dreimalige Olympiasiegerin Anni Friesinger, dass es kein gutes Fairplay beim Verband gebe. Nicht ohne Grund brach auch Marion Wohlrab mit der DESG. Auch der Niederländer Bart Schouten, der bis 2010 zuständiger Bundestrainer war und unter anderem Bob de Jong, Dritter über 10.000 Meter in Sotschi, zu einem Umzug nach Berlin veranlasste, ging im Clinch mit dem Verband auseinander.

Was bleibt also, außer einer enttäuschenden Olympiabilanz und einem trüben Blick in die Zukunft? Nicht viel. Nur ein bisschen Hoffnung.