MARTIN UNFRIED über ÖKOSEXEIN HEISSER HERBST? WARUM DIE KONZERNE UND ICH ÜBER DIE ANKÜNDIGUNGEN VON ATOMKRAFTGEGNERINNEN NUR LACHEN KÖNNEN : Aufruf zum Volksentscheid mit der Stromrechnung
Sind AtomkraftgegnerInnen dumm wie Brot?, hatte ich vor wenigen Jahren mal ökosextechnisch scherzhaft gefragt. Die Antwort heißt gerade heute, in den bitteren Tagen der Entscheidungsschlacht um die Laufzeitverlängerung: „Ja, unbedingt!“
Dabei möchte ich das „dumm“ natürlich nicht im Sinne von „nicht intelligent“ verstanden wissen. Gesellschaftlich würde ich sogar ihre Vermehrung sehr begrüßen, und ich habe in dieser Hinsicht meine atomkritische Pflicht bereits getan.
Nein, „dumm“ steht für blöd. AtomkraftgegnerInnen sind blöd im Sinne von „beschränkt“. Beschränkt ist nämlich ihre Vorstellung von der eigenen Macht. Deshalb hören wir von ihren Funktionären angesichts der größten Bedrohung der solaren Effizienzrevolution so fantasievolle Sachen wie: Demo! Wir machen eine tolle Demo in Berlin am 18. September, wir umringelpiezen den Reichstag, dann wird das ein ganzer heißer Herbst für die Regierung! Dufte.
Das wird sicher ein schönes Familientreffen, da bin ich immer gern dabei. Leider ist das Ritual „Demo“ wohl die größte Schlaftablette unter all den schönen Folterwerkzeugen, die wir Regierung und Konzernen zeigen könnten. Berlin ist nämlich nicht Stuttgart, wo man mit Trillerpfeifen über Wochen Rabatz machen kann. Was aber machen wir, wenn die „Tagesschau“-Bilder versendet sind?
Nehmen wir bescheiden an, 50 Prozent der Bevölkerung sind gegen Atomkraft. Davon wiederum sind die Hälfte einigermaßen motivierte Atomkraftgegner. Dann sprechen wir immerhin von 20 Millionen Leuten in Deutschland, die in 10 Millionen Haushalten mit 10 Millionen Stromrechnungen leben. Welche echte Waffe haben die? Die schärfste ist und bleibt die Massenkündigung, der Atomboykott, die Abstimmung mit der Stromrechnung. Kein Vegetarier geht jeden Tag zum Metzger und kauft Fleisch. Aber Millionen eisenharte Atomkraftgegner kaufen immer noch Strom von den Konzernen, deren Produkt und Politik sie verabscheuen. Wenn das nicht Brot ist. Wenn das nicht die bisher größte Niederlage der Antiatombewegung ist, dann heiße ich Norbert.
Und auch deshalb lachen die Konzernmanager, wenn sie das Wort „Demo“ hören. So lange die Atomstromrechnungen bezahlt werden, ist alles gut. Jetzt höre ich schon die taz-LeserInnen rufen: Aber wir und unsere duften Bekannten haben doch schon alle Ökostrom! Genau das täuscht gewaltig. Gemessen am Potenzial atomkritischer Haushalte ist das Pipifax und kein Boykott.
Weniger als eine Million kaufen von unabhängigen Ökounternehmen. Das heißt: neun Millionen eisenharte Antiatomfreaks haben die Bierhoff-Anzeige von Eon und Co. mitbezahlt. So dumm kann kein Brötchen sein. Bisher fehlt anscheinend die Fantasie, die Massenkündigung zu denken. Dazu braucht es eine so schlaue wie brachiale Kommunikationsoffensive. Dazu braucht es vor allem Hunderttausende, die mühsam Nachbarn und Verwandte zur Unterschrift bringen. Aber dieser Volksentscheid mit der Stromrechnung ist heute schon möglich. Und er würde mehr Spaß machen als jede Demo. MARTIN UNFRIED