: Neuer Rekord: 32 Milliarden Euro für die Pharmaindustrie
MEDIZIN Die Ausgaben für Arzneimittel steigen. Laut Experten könnten 9,4 Milliarden gespart werden
BERLIN dpa/taz | Hohe Pharmapreise haben die Arzneimittelausgaben auf ein neues Rekordniveau getrieben. Teure Blutdrucksenker sowie Schmerz-, Krebs- und Asthmamittel haben die Arzneikosten der gesetzlichen Kassen im vergangenen Jahr um 4,8 Prozent auf 32,4 Milliarden Euro steigen lassen. Dies geht aus dem Arzneiverordnungs-Report 2010 hervor. Mit deutlich geringeren Preisen wie etwa in Schweden sowie mehr Nachahmer-Mitteln, den sogenannten Generika, könnten 9,4 Milliarden Euro gespart werden, sagte Herausgeber Ulrich Schwabe: „Viele althergebrachte Privilegien der Pharmaindustrie sollten abgeschafft werden.“
In Deutschland, so Schwabe weiter, seien patentgeschützte Arzneimittel und Generika 30 bis mehrere hundert Prozent teurer als in anderen europäischen Ländern. „In diesem Markt stimmt etwas nicht.“ So sei der Preis für das Omeprazol-Generikum Omep zur Hemmung von Magensäure in Deutschland Anfang des Monats auf einen Schlag von 60 auf 43 Euro gesunken – in Schweden koste es aber nur 9 Euro. „Das ist kein Einzelfall.“
Ärztevertreter Leonhard Hansen warf der Pharmabranche vor, extrem teure neue Krebsmittel ohne Zusatznutzen auf den Markt gedrückt zu haben. „Für höchste Therapiekosten wurde die Lebenserwartung nicht um einen Tag verlängert.“
Seit 1993 seien die Umsätze der Patent-Arzneimittel von 1,6 auf 13,2 Milliarden Euro angestiegen, sagte Schwabe. Ärzte verordneten laut Report drei Prozent mehr als im Vorjahr. Die Mittel kosteten die Kassen 3,7 Prozent mehr. Vor drei Jahren seien erstmals Höchstbeträge für neue teure Mittel eingeführt worden, sagte Schwabe. „Geändert hat sich nichts.“
Die von der Koalition derzeit geplante Nutzenbewertung für die neuen, teuren Patent-Arzneimittel werteten die Experten positiv. Sie soll Grundlage für Rabattverhandlungen zwischen Kassen und Herstellern werden. Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) habe den ersten Schritt getan, um den Markt in den kommenden Jahren zu normalisieren, sagte Mitherausgeber Dieter Paffrath, Chef der AOK Schleswig-Holstein.
Sein Kollege beim AOK-Bundesverband, Herbert Reichelt, lobte zwar den „Paradigmenwechsel“. Zugleich warnte er, den Fortschritt den Interessen der Pharmabranche zu opfern. Die Koalition hatte sich Klientel-Vorwürfe eingehandelt, weil sie die Kriterien für die Arzneiprüfung vom Ministerium aufstellen lassen will und nicht von einem unabhängigen Gremium, dem Gemeinsamen Bundesausschuss.