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Archiv-Artikel

Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

LARS PENNING

Eine neue Filmreihe startet im Babylon-Mitte: Jeweils am Samstag um 0 Uhr begleitet die Babylon-Organistin Anna Vavilkina den „Stummfilm um Mitternacht“ bei freiem Eintritt. Los geht’s am 8. 3. mit zwei Ernst-Lubitsch-Komödien, in denen die quirlig-freche Slapstick-Komödiantin Ossi Oswalda brilliert, die in ihren Filmen gern herrschende Geschlechterklischees auf amüsante Weise infrage stellte. In „Ich möchte kein Mann sein“ (1918) verkleidet sich Ossi mit Frack und Zylinder als Mann, um endlich ungestört ins Tanzlokal gehen zu können, zumal ihr daheim das Pokern, das Rauchen und der Alkohol verboten worden sind. Aber mit den neuen Freiheiten und der ungewohnten Rolle kommt sie auch nicht ganz zurecht, weil sich die Weiblichkeit eben doch nicht völlig unterdrücken lässt. Die Freude an der Übertreibung ist in der Komödie ebenso spürbar wie ein ungeheurer Bewegungsdrang, der Protagonistin und Kamera gleichermaßen erfasst. Ossi ist auch die titelgebende „Austernprinzessin“ in Lubitschs 1919 entstandener Satire auf verarmte Adelige und neureiche Amerikaner, in der ein kulturloser und neureicher Banause seiner Tochter einen zum Schloss passenden Adeligen als Ehegemahl einkaufen möchte. In einer abstrus-lustigen Szene mit Oswalda gibt Lubitsch den Wohltätigkeitsfimmel reicher Erbinnen der Lächerlichkeit preis: Nicht nur werden die flammenden Reden im „Verein der Milliardärstöchter zur Bekämpfung des Alkoholismus“ stets mit einem guten Schluck begossen, anschließend wird auch noch der Kampf um gut aussehende „Patienten“ mit harten Bandagen in einem Boxkampf ausgefochten. (8. 3., Babylon Mitte)

Noch besteht die Gelegenheit, ihren Gewinnerfilm im Kino zu sehen: In Woody Allens „Blue Jasmine“ verkörpert die gerade mit einem Oscar ausgezeichnete Cate Blanchett in einer schauspielerischen Tour de force die Titelrolle der Jasmine. Die steht nach der Verhaftung ihres sie unentwegt betrügenden Gatten, eines dubiosen Finanzberaters, vor dem Nichts, was sie zwingt, sich bei ihrer Schwester, einer trashigen Supermarktkassiererin, in San Francisco einzuquartieren. Doch der an ein Luxusleben gewöhnten Jasmine ist nie etwas gut genug: weder die Wohnung noch die Proll-Freunde der Schwester, weder neue Verehrer noch mögliche Jobangebote. Auf allzu offensichtlich komödiantische Elemente verzichtend, kreist Allens Film um den massiven Selbstbetrug seiner Hauptfigur, wobei sich ein ausgesprochen bitterer Humor aus der Fallhöhe zwischen irrealem Anspruchsdenken und der harschen Realität ergibt und die brillante Blanchett die Grenzen zum möglichen Wahn subtil auslotet. (6.–12. 3., Kino im Kulturhaus Spandau, Tilsiter Lichtspiele; 9. 3., Rollberg 5)