: Ein Haus ohne Sackgassen
Ein Heim für Demenzkranke ist architektonisch eine Herausforderung: Die Eigenheiten der Krankheit müssen berücksichtigt werden, damit sich die Bewohner wohl fühlen. Ein Kölner Architektenbüro baut nun ein Altenheim ohne lange Flure
VON LUTZ DEBUS
Sackgassen müssen unbedingt vermieden werden. Das war eine der vielen Vorgaben, mit denen sich das Architekturbüro Bösl + Eck aus Köln konfrontiert sah. Geplant wurde ein Heim für demenzkranke alte Menschen in Bergisch Gladbach. Am Hang des Quirlsbergs heben jetzt Bagger die Baugrube aus – für ein Heim, in dem sich verwirrte Menschen nicht verlaufen.
Thomas Bösl erklärt, mit welchen Fragen man sich bereits vor Planungsbeginn auseinander setzen musste. Die üblichen Vorgaben, wie ein Altenheim auszusehen habe, reichten für dieses Projekt nicht aus. Denn bedingt durch die finanziellen Sachzwänge der Pflegeversicherung und das gut ausgebaute Netz von ambulanten Pflegediensten, sind die Menschen, die einer Heimunterbringung bedürfen, immer älter und kränker. Und immer verwirrter. Krankenhausähnliche Gebäude mit ihren langen Fluren sind für Menschen, denen das Kurzzeitgedächtnis fehlt, völlig ungeeignet. Gerade am Ende eines Flures stehen oft verzweifelte Menschen, die wegen ihrer Desorientiertheit im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr weiter wissen.
So musste bei der Planung des Pflegeheimes des Evangelischen Krankenhauses in Bergisch Gladbach Neuland betreten werden. Lange Flure waren Tabu. Alle Bewohnerzimmer sollten sich zu einem Gemeinschaftsraum öffnen. Menschen, die sich nichts merken können, bleiben zur Orientierung nur deren Sinnesorgane. „Da sitzen welche, da kann ich hingehen.“ Das mag vielleicht ein Gedanke eines zukünftigen Bewohners sein. Der 48-jährige Thomas Bösl weiß, dass er, wenn er von Bedürfnissen Demenzkranker redet, auf Vermutungen und Beobachtungen angewiesen ist. Andere Klienten des Architekten äußern sich differenziert über ihre Wünsche. Verwirrte Menschen aber können sich nicht so gut mit anderen verständigen.
Auch die Beobachtungen des Pflegepersonals flossen in die Planung mit ein. Gern hätte Bösl als Fußbodenbelag ein feingeripptes Stäbchenparkett gewählt. Das Pflegepersonal wusste aber aus langjähriger Berufspraxis, dass manche verwirrte alte Menschen so einen Boden nicht betreten. Vielleicht ist solch edler Holzboden optisch zu unruhig und flößt Angst ein? Konkrete Antworten sind von den entsprechenden Bewohnern nicht zu bekommen.
Dem Träger des Hauses war es wichtig, dass jede Wohngruppe mit einer eigenen großen Küche ausgestattet ist. Es hat sich gezeigt, dass altersverwirrte Menschen zwar manchmal nicht einmal mehr ihre unmittelbaren Verwandten erkennen können, durchaus aber in der Lage sind, alltägliche Hausarbeiten zu verrichten. Der Ehepartner oder die eigenen Kinder erscheinen als Fremde. Kartoffelschälen ist aber nach wie vor vertraut, schafft Selbstbewusstsein und das gemeinsame Arbeiten in der Küche schafft außerdem ein Gemeinschaftsgefühl.
Obwohl die Bewohner ohne großen Kostenaufwand von der Küche des Krankenhauses hätte versorgt werden können, wollte der Träger, dass der Mittelpunkt einer jeden Gruppe eine gemeinsame Wohnküche ist. In vergleichbaren Einrichtungen zeigte sich, dass das quasi familiäre WG-Leben für Demenzkranke besser geeignet ist als die Anonymität eines hotelähnlichen Heimbetriebs. Während geistig gesunde alte Menschen viel Wert auf eine Privatsphäre legen, haben verwirrte Menschen ein großes Bedürfnis an zwischenmenschlicher Nähe, manchmal auch an zwischenmenschlicher Reibung. In Bergisch Gladbach hat man die Forderung mancher Heimkritiker aufgegriffen und statt einer Großinstitution so etwas wie ein Mehrfamilienhaus konzipiert. Jede Gruppe bekommt eine eigene Wohnungstür, einen Briefkasten, eine Klingel und Namensschilder.
Viele Hürden waren zu nehmen. Das Gesundheitsamt fand den freien Zugang zur Küche für alle Bewohner problematisch. Manche der Verwirrten seien zur Zubereitung von Speisen nicht hygienisch genug. So mussten halbhohe verschließbare Schwingtüren eingeplant werden, um zu gewährleisten, dass manche Bewohner doch nicht zu den Kochtöpfen gelangen können. Kleine Proben der Mahlzeiten müssen in einem speziellen Kühlschrank aufgehoben werden, um im Falle einer Infektion bestimmen zu können, in welcher Speise der fragliche Keim gehaust hatte. Auch braucht die Küche einen elektrischen Hauptschalter, damit nach Schichtende der Pflegenden nicht Feuer ausbricht, wenn ein Bewohner unbeabsichtigt den Herd angestellt hat.
Überhaupt Brandschutz. Mit der örtlichen Feuerwehr mussten manche Diskussionen geführt werden. Natürlich, so räumt Thomas Bösl ein, seien die Bewohner gefährdeter als Durchschnittsbürger, aber auch ein Heimbewohner habe ein Anrecht auf eine individuell gestaltbare Wohnumgebung. Bei der Planung war das Ziel, sogenannte „brandlastfreie Flucht – und Rettungswege“ im Wohnbereich zu vermeiden, da diese in einer Wohnung eben normalerweise nicht vorkommen und damit zwangsläufig immer einen Anstaltscharakter haben. Der notwendige vorbeugende Brandschutz ist stattdessen durch ein Bündel alternativer Maßnahmen erreicht worden, zu denen auch eine flächendeckende, bei der Feuerwehr aufgeschaltete Brandmeldeanlage gehört.
Trotz aller architektonischer Raffinesse werde die Lebensqualität der demenzkranken Menschen, vor allem von dem Engagement der Leute bestimmt, die hier arbeiten, gibt der Planer aus Köln zu bedenken. Hier ist er nach vielen Kontakten zu den Mitarbeitern des evangelischen Krankenhauses sehr zuversichtlich. Eine Zahl hat den Architekten, der in seinen Plänen Sackgassen vermeiden sollte, aber doch nachdenklich gemacht. Die durchschnittliche Verweildauer in einem Pflegeheim beträgt nur etwas mehr als zwei Jahre. „Die Grenze zum Hospiz ist fließend.“