: Die unheimliche Fracht
MISSION 1.300 Tonnen syrische Chemiewaffen müssen außer Landes geschafft und vernichtet werden: eine Logistik mit vielen Unbekannten
■ Die UN-Sicherheitsratsresolution 2118 vom September 2013 verlangt, alle syrischen Chemiewaffen bis zum 30. Juni 2014 zu vernichten. Die von den UN und der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) geleitete Mission verlief seither äußerst stockend. Jetzt aber verkündeten die Zuständigen, diese Woche sei immerhin ein Drittel der Kampfstoffe außer Landes. Die Anlagen zur Herstellung der Chemiewaffen innerhalb Syriens sollen jetzt weitgehend zerstört sein.
VON ULRIKE WINKELMANN
BERLIN taz | Ihre Fracht hat noch einen weiten Weg vor sich. Doch seit Wochen dümpeln die Schiffe, ein dänisches und ein norwegisches, irgendwo zwischen Zypern und Syrien im östlichen Mittelmeer. Sie werden von Fregatten ihrer Heimatländer eskortiert. Überqueren sie die syrische Seegrenze, übernehmen chinesische und russische Kriegsschiffe die Eskorte. Die Ladung der Frachter ist heikel, und es soll noch mehr davon an Bord: chemische Kampfstoffe aus Syrien, darunter das hochgefährliche Senfgas.
Über ein Drittel der syrischen Chemiewaffen wird zum Ende dieser Woche im syrischen Hafen Latakia verladen und damit außer Landes sein, erklärt die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons, OPCW). Dies sei ein guter Fortschritt bei der Zerstörung aller chemischen Waffen Syriens.
Gründe gab es viele
Eigentlich sollte die Verladung am 5. Februar abgeschlossen, sollten beide Frachter schon auf dem Weg dorthin sein, wo die Gifte vernichtet werden. Doch „ungünstiges Wetter, Erschwerung des Straßenverkehrs durch den Krieg und Ausrüstungsprobleme“ verzögerten den Ablauf, sagt OPCW-Sprecher Michael Luhan. Nicht zuletzt hätten die Giftcontainer zusätzlich Metallhüllen zum Schutz gebraucht. „Nach unseren Begriffen haben wir in Lichtgeschwindigkeit gearbeitet, aber all dies trug eben zu den Verzögerungen bei.“
Die OPCW will Syriens Gewaltherrscher Baschar Al-Assad offenbar nicht mehr dafür haftbar machen, dass die Zerstörung seiner Chemiewaffenbestände bislang nicht so ruhmreich verläuft wie gehofft. Die syrische Regierung habe inzwischen einem straffen Zeitplan zugestimmt, sagte die Leiterin des Einsatzes, Sigrid Kaag, am Dienstag in Den Haag: „Wir erwarten im März eine Menge Aktivität.“
Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen, die von OPCW und UN organisiert wird, war 2013 so etwas wie das Ziehen einer Reißleine durch die internationale Gemeinschaft im Umgang mit Assad. Dieser hatte im August wahrscheinlich Chemiewaffen gegen Tausende Menschen östlich von Damaskus eingesetzt. Das Weiße Haus sah eine „rote Linie“ überschritten. Im September einigten sich USA, Russland und Assad auf die Vernichtung der Giftstoffe bis Mitte 2014. Von insgesamt 1.300 Tonnen teils hochgiftiger Substanzen ist die Rede.
Laut OPCW ist das noch zu schaffen – wenn alle Hebel im internationalen Getriebe der Mission rechtzeitig und reibungslos umgelegt werden. Der norwegische Frachter soll seine insgesamt weniger risikoträchtige Ladung nach Texas und nach Finnland bringen. Auf das dänische Schiff dagegen wartet derzeit in Spanien bereits der US-amerikanische Marinefrachter „Cape Ray“, der mit zwei Hydrolyseanlagen ausgestattet ist. Er soll im italienische Gioa Tauro die gefährlichsten Stoffe, VX und Senfgas, übernehmen und auf hoher See zerstören. Im Hydrolyseverfahren werden die Giftstoffe mit Wasser versetzt; sie zerfallen und verlieren dabei ihre tödliche Wirkung. Die Abfallstoffe sollen im Anschluss auch im deutschen Munster (siehe nebenstehenden Text) weiterverarbeitet werden.
SIGRID KAAG, OPCW-EINSATZLEITERIN
Die Anlage in Munster, sagt der Chemiewaffenexperte der Linksfraktion, Jan van Aken, sei dafür sehr gut geeignet: „Munster ist eine gute Wahl.“ Er habe im November 2013 nicht verstanden, „warum die Kanzlerin so herumgetönt hat, dass wir das nicht machen“. In der Tat hatte Angela Merkel zunächst erklärt, Chemiewaffen würden keinesfalls in Deutschland entsorgt.
Im Januar kam dann die Kehrtwende. Offenbar hatte jemand der Bundesregierung erklärt, dass die Abfallstoffe nicht gefährlicher als Sondermüll seien. Seither erwägt sie sogar, die Beteiligung Deutschlands noch auszuweiten: Eine Bundeswehr-Fregatte könnte zum Schutz der „Cape Ray“ abgestellt werden.
Union, SPD und Grüne haben bisher nichts dagegen. Die Linke ist sich nicht einig: Ein Teil der Fraktion hat bereits erklärt, es sei nur logisch, auch den Schutz der „Cape Ray“ gutzuheißen. Verteidigungspolitiker Alexander Neu ist dagegen. „Es wird keine Fregatte der Bundeswehr dafür gebraucht“, das Mittelmeer sei bereits voll von geeigneten Schiffen. „Es handelt sich um eine rein symbolische Maßnahme.“