: „Rechtsextreme sind und bleiben nur eine Minderheit“
KONFLIKT Die Nationalismus-Forscherin Alina Polyakova über radikale Einflüsse auf die Maidan-Bewegung und die Furcht russischsprachiger Ukrainer
■ 32, ukrainische Expertin für radikale Bewegungen und Nationalismus. Sie hat für ihre Doktorarbeit zum Thema Rechtsextremismus in der Ukraine dort mehr als 100 rechtsextreme Aktivisten interviewt. Derzeit forscht sie am Institut für Soziologie der Universität Bern in der Schweiz.
taz: Frau Polyakova, Russland begründet seine Aktivitäten auf der Krim mit dem Argument, radikale Nationalisten hätten einen Putsch gegen die ukrainische Regierung begangen. Wie groß war der Einfluss Rechtsextremer auf dem Maidan?
Alina Polyakova: Natürlich haben rechte Kräfte auf dem Euromaidan eine Rolle gespielt. Man muss unterscheiden zwischen der Swoboda-Partei als politischer Kraft und subkulturellen radikalen Gruppen wie dem Rechten Sektor. Gerade Swoboda …
… die ihre Ideologie sozial-nationalistisch nennt und rund 10 Prozent der Sitze im Parlament hat …
… hat bereits in den letzten Jahren gezeigt, dass sie eine Partei mit einem großen Mobilisierungspotenzial ist. Doch als ich Ende November die Bilder vom Maidan gesehen habe, war ich geschockt. Von Anfang an waren überall die Flaggen und Symbole von Swoboda zu sehen.
Also hat der Euromaidan den Einfluss der rechtsextremen Kräfte gestärkt?
Swoboda war bereits vor den Protesten auf dem Euromaidan einflussreich. Sie waren Teil eines Oppositionsbündnisses mit Vitali Klitschkos Partei Udar und Julia Timoschenkos Vaterlandspartei. Für die subkulturellen Gruppen hingegen war der Maidan eine Möglichkeit, sich zu vernetzen und erstmals geschlossen aufzutreten. Vorher war die Szene sehr zersplittert. Viele ihrer Anführer werden auch weiterhin versuchen, politisch Einfluss zu nehmen. Manche von ihnen haben bereits Posten in der Übergangsregierung. Der Swoboda-Politiker Parubiy beispielsweise ist Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine. Sein Stellvertreter Jarosch ist eine der Führungsfiguren des Rechten Sektors.
Ein Gesetz dieser Regierung sollte Russisch als zweite Amtssprache abschaffen. Ist eine gestärkte Rechte eine Bedrohung für die russischsprachige Bevölkerung?
Die Rechtsextremen sind und bleiben nur eine Minderheit. Eine Minderheit kann keinen Präsidenten zur Flucht zwingen. Auf dem Unabhängigkeitsplatz waren eine Million Menschen, die Mehrheit davon waren keine Nationalisten. Zu sagen, die Ostukraine und die Krim werden von einer demokratischen Massenbewegung bedroht, ist lächerlich. Aber Sprach- und Identitätspolitik sind immer kraftvolle Mittel, um Konflikte zu befeuern. In der Ostukraine haben die Menschen sich über diese Gesetzesänderung nicht gefreut. Aber zu einem solchen Thema wurde es erst durch russische Medien. […] Die Ukraine war immer ein multikultureller Staat. Die Menschen lebten in den letzten Jahrzehnten friedlich zusammen.
Ein Beispiel?
Präsident Viktor Juschtschenko wurde vor allem im Westen als prowestlicher Politiker gesehen. Tatsächlich war er aus ukrainischer Sicht deutlich nationalistisch. Unter ihm wurde Ukrainisch zur Nationalsprache und es wurden Straßen nach Stepan Bandera benannt (ukrainischer Untergrundkämpfer, der auch mit den Nationalsozialisten zusammenarbeitete; d. Red.). Damals gab es keine Proteste in ostukrainischen Städten wie Charkiw. Niemand sagte, Juschtschenko solle abtreten, weil er die russische Bevölkerung verletze oder gefährde.
Und das bedeutet …
Was die Menschen in der Ukraine wirklich wollen, im Osten, im Westen und im Süden, ist Rechtsstaatlichkeit. Niemand möchte von ein paar Eliten an der Spitze für deren persönlichen Profit benutzt werden. In meinen Augen ist die Bedrohung auf der Krim russische Propaganda. Ich glaube nicht, dass ethnische Russen irgendeiner Gefahr ausgesetzt sein werden – zumindest, wenn es eine rechtsstaatlich gewählte Regierung geben wird.
Fühlen sich die Menschen auf der Krim bedroht?
Die Krim war auch schon vor dem Euromaidan eine autonome Region. Sie wurde erst sehr spät an die Ukraine angegliedert. Die meisten sind russischsprachig und bekommen ihre Informationen aus russischen Medien. Sie könnten die Situation also so interpretieren, dass es eine Bedrohung für sie gibt. Das ist genau das Interesse, das Russland verfolgt. Die russische Regierung hat ein riesiges geopolitisches Interesse in der Region und ist bereit, einen Krieg zu beginnen. Dafür will sie sich die Unterstützung der Bevölkerung sichern. In vielen Ländern gibt es Regionen, die mehr Autonomie fordern. Auch in Westeuropa. Aber das führt nicht immer zu Konflikten und Gewalt. Die Krim ist kulturell eng mit Russland verbunden. Das ist jedoch keine Rechtfertigung für eine Invasion auf das Territorium eines anderen Staates. Das ist keine neue Taktik Russlands. In der Auseinandersetzung um Georgien und Abchasien war es dasselbe.
Wie geht es jetzt weiter?
Ich sehe viele Handlungsoptionen auf westlicher Seite. Russland plant, aus der Krim eine Art russischer Provinz zu machen, so wie in Abchasien. Es gab auf der Krim bereits Proteste der Krimtataren gegen eine Intervention Russlands. Wenn solche Proteste sich ausweiten, könnte der Konflikt in Gewalt umschlagen und sehr blutig enden. Die westlichen Regierungen müssen aufstehen und Maßnahmen gegen Vertreter Russlands ergreifen. Russland bricht das Völkerrecht.
Ich bin überrascht, dass der Westen grundlegende Maßnahmen wie eine Verschärfung der Visa-Regelungen nicht ergreift. Die russische Regierung muss verstehen, dass ihr Handeln für die internationale Gemeinschaft nicht akzeptabel ist. Wenn diese Spannungen eskalieren, könnte es zu einem neuen globalen Konflikt kommen.
INTERVIEW: DINAH RIESE
Gesellschaft + Kultur SEITE 14