: Unterhaltspflicht trotz mieser Kindheit
JUSTIZ Der Bundesgerichtshof verpflichtet einen 48-Jährigen, für seine schizophrene Mutter zu sorgen, obwohl diese ihn als Kind schlecht behandelt hatte. Stadt verlangt 40.000 Euro an Heimkosten zurück
KARLSRUHE taz | Wer als Kind von seiner Mutter krankheitsbedingt vernachlässigt wurde, muss ihr dennoch bei Bedürftigkeit später Unterhalt bezahlen. Das entschied jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil. Wenn die Krankheit der Mutter „schicksalsbedingt“ war, könne dies nicht zum Anlass genommen werden, die eigene Unterhaltspflicht dem Staat aufzubürden.
Konkret ging es um eine Frau, die 2005 ins Pflegeheim musste und dort im April 2010 starb. Die Heimkosten übernahm zunächst das Sozialamt Gelsenkirchen. Es versuchte aber, das Geld vom heute 48-jährigen Sohn zu holen, weil dieser unterhaltspflichtig sei.
Der Sohn weigerte sich jedoch zu zahlen. Er sei als Kind von seiner psychisch kranken Mutter schlecht behandelt worden und sehe nicht ein, jetzt Unterhalt zu leisten. Seine Mutter sei schizophren gewesen und habe einen Waschzwang gehabt. Täglich nach dem Schulbesuch sei er „zwangsgebadet“ worden. Später habe er selbst einen Waschzwang entwickelt. Er und seine Schwester seien damals oft stundenlang aus der Wohnung ausgesperrt worden. Einmal habe die Mutter alle Kleider der Kinder mit der Schere zerschnitten. Als er 12 war, trennten sich die Eltern, und er lebte beim Vater. Ab 1977 hatte er so gut wie keinen Kontakt mehr zur Mutter.
Weil der Sohn von Beginn an keinen Unterhalt für die Mutter bezahlte, verlangte die Stadt Gelsenkirchen nun mehr als 40.000 Euro von ihm. Da er inzwischen ein Haus gebaut habe, drohe ihm jetzt die Insolvenz, argumentierte der Sohn, der als Angestellter arbeitet.
Doch der 12. Zivilsenat des BGH pochte auf die Unterhaltspflicht. Der Sohn müsse die vom Gesetz geforderte „familiäre Solidarität“ üben, erklärte die Vorsitzende Richterin Meo-Micaela Hahne. Es liege keine „unbillige Härte“ vor.
Die Unterhaltsanspruch könne zivilrechtlich nur entfallen, wenn Eltern ihre Kinder einst schuldhaft vernachlässigt hatten. Im konkreten Fall könne der Mutter aber kein Vorwurf für ihr Verhalten gemacht werden, weil sie damals schwer psychisch krank gewesen war, so Richterin Hahne. Auch gegenüber dem Sozialamt sei die Zahlungspflicht des Sohnes nicht erloschen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Staat selbst die psychische Krankheit verursacht hätte. Hahne verwies zum Vergleich auf den Fall eines traumatisierten Kriegsheimkehrers, „der für den Staat seine Haut zu Markte getragen hat“. CHRISTIAN RATH