piwik no script img

Archiv-Artikel

Ahnungslosigkeit und Kostendruck

URTEIL Ein Pfleger verbrüht eine Frau mit heißem Duschwasser. Die Richterin spricht ihn der fahrlässigen Tötung schuldig. Verteidiger: Seniorenheimleitung hat auf Kosten der Sicherheit gespart

Im Juni hatte ein Pflegehelfer eine demenzkranke Frau mit heißem Duschwasser verbrüht, fünf Tage später starb die 91-Jährige an Multiorganversagen. An zwei Verhandlungstagen beschäftigte sich das Amtsgericht Tiergarten damit, ob der 33-jährige Sebastian F. die Schuld am Tod seines Schützlings trägt und ob dieser für ihn vorhersehbar war. Beide Fragen bejahte Amtsrichterin Anke Ploner und verurteilte den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung zu 60 Tagessätzen Geldstrafe, das sind für den Hartz-IV-Empfänger 900 Euro.

Die Verurteilung wurde vom Publikum kritisch aufgenommen. Der Verteidiger von F. stellte denn schließlich auch die Frage, die ihm Raum stand: ob mit F. überhaupt der Richtige auf der Anklagebank sitze und ob der Unfall nicht hätte vermieden werden können, wenn die Leitung des Seniorenheimes weniger auf die Kosten als auf die Sicherheit seiner Schützlinge geachtet hätte.

Kein Verbrühschutz

F. hatte damals noch nicht einmal einen Pflegebasiskurs absolviert, als man ihm die Verantwortung für neun schwer Demenzkranke übertrug. Die später Verstorbene litt an Durchfall, F. wollte ihren Intimbereich lieber abduschen, als die dünne Haut mit einem Waschlappen zu traktieren. Er setzte sie auf einen Toilettenstuhl und hielt sie mit einer Hand fest. Mit der anderen Hand betätigte er den Schwenkhebel, der sich in Mittelstellung befand.

Das Wasser schien ihm zu warm, er drehte den Hebel ein wenig nach rechts. Ohne die Temperatur erneut zu prüfen, duschte er seinen Schützling. Er wusste nicht, dass nur in dieser Nasszelle die Armatur verkehrt herum eingebaut worden war. „Ich bin nicht auf die Idee gekommen, dass das Wasser so heiß ist, dass man sich daran verbrennen kann“, sagte der Angeklagte. Einen Verbrühschutz, der Wasser nur bis zu einer Temperatur von maximal 38 Grad aus dem Hahn treten lässt, gab es nicht. Die Geschädigte erlitt auf 110 Quadratzentimetern Haut Verbrennungen zweiten Grades – eine Verletzung, die das Leben der Schwerkranken unstreitig verkürzte.

F.s Verteidiger regte an, von einer Bestrafung abzusehen, sein Mandant stehe ohnehin vor einem Scherbenhaufen: Aufgrund der Presseberichte verlor er seinen neuen Job in einem Heim, in dem weniger Kostendruck herrsche und das Personal regelmäßig geschult werde. Er leide darunter, den Tod eines Menschen verschuldet zu haben, den er sehr mochte. Genau von dieser Schuld wollte ihn auch die Richterin am Donnerstag nicht freisprechen. UTA EISENHARDT