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Archiv-Artikel

Der Kaiser der SPD ist nackt

Kurt Beck sagt „Leistungsträger“ statt „neue Mitte“ – und entfacht damit eine Debatte über den neuen, alten Kurs seiner Partei

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Kaum nimmt Kurt Beck einmal das Wort „Leistungsträger“ in den Mund, schon wackelt die Wand. Ein SPD-Chef redet davon, dass sich Leistung für die arbeitenden Menschen wieder lohnen müsse – mein Gott, rufen die einen verstört, mit diesem Slogan hat doch früher Helmut Kohl geworben! Ein Kurswechsel, analysieren die anderen betont nüchtern. Ist doch super, jauchzen fast alle in der SPD über den Vorstoß ihres Vorsitzenden. „Wahlen werden immer in der Mitte gewonnen“, sagt Johannes Kahrs, Sprecher des konservativen „Seeheimer Kreises“, mit gewohnter gedanklicher Tiefe.

Was, bitte schön, ist an diesen Allerweltsaussagen neu?

So viel Verwirrung an der Oberfläche verlangt nach ein paar einfachen Fragen: Was genau hat Kurt Beck gesagt? Warum hat er es gesagt? Und vor allem: Was hat er nicht gesagt?

Auslöser der Debatte ist ein Interview im neuen Stern. Darin spricht Beck über das Profil der SPD. Seine Botschaft: Die Sozialdemokraten müssen sich wieder mehr um die Leistungsträger der Gesellschaft kümmern. „Ich fürchte, wir haben diesen Teil der Menschen zu wenig beachtet“, sagt der SPD-Vorsitzende. „Da kumulieren sich die Einsparungen des Staates wie der Sozialsysteme. Ich sehe zunehmend die Gefahr, dass mit Leistung keine Aufstiegschancen in der Gesellschaft verbunden sind.“

So weit, so allgemein, so unverständlich. Auf die Nachfrage, wen er zu den „Leistungsträgern“ zähle, antwortet er: „Das sind die 40 bis 50 Prozent in der Mitte der Gesellschaft – wobei ich die Spitzengruppe nicht vergessen möchte.“ Beck, aufgestiegen aus kleinen Verhältnissen, tut immer so, als lasse er niemanden in der Gesellschaft zurück.

Was der SPD-Chef nicht auf den Punkt zu bringen vermag, versucht sein Generalsekretär Hubertus Heil einen Tag später zu erläutern. Es gelte, „den Begriff Leistung sozialdemokratisch zu füllen“, sagt Heil. Leistungsträger seien nicht die Yuppie-Eliten, „die mit Aktenkoffer und Handy auf dem Gendarmenmarkt auf und ab gehen“, sondern die „ganz normalen Leute, die täglich ihre Pflicht tun“. Mal abgesehen davon, dass das sozialdemokratische Bild der young urban professionals etwas altbacken daherkommt – klarer macht diese Aussage den Leistungsträger-Begriff auch nicht.

Zehn Tage vor dem Interview hat Beck einen programmatischen Text für die Welt am Sonntag geschrieben. Der lässt schon eher erkennen, was der Parteivorsitzende über den zukünftigen Kurs seiner Partei denkt. Dort analysiert er die Bundesrepublik als ein „gespaltenes Land“. Deutschland drohe in eine „dreigeteilte Gesellschaft“ zu zerbrechen, in der „das Oben und das Unten immer schärfer auseinandertreten und gerade auch die Mitte von dauerhafter Verunsicherung betroffen ist“. Die drei „Hauptgruppen“ beschreibt er wie folgt: „Erstens die Gesicherten und Chancenreichen in stabiler Beschäftigung bis hin zu den Spitzenverdienern. Zweitens die Menschen, die in Unsicherheit leben, die nur befristet und schlecht bezahlt Anstellung finden … Drittens die Ausgeschlossenen, die glauben, dass sie keine Chance mehr bekommen.“

Die größte Sorge Becks ist, dass seine Partei das alte sozialdemokratische Aufstiegsversprechen unter den neuen, globalisierten Verhältnissen nicht mehr einlösen kann. „Wenn Menschen leistungsfähig sind und zufassen wollen, aber kein Pack-Ende finden, ruiniert das die Moral unserer gesamten Gesellschaft.“ Deswegen sein Plädoyer für die Leistungsträger. „Die Leistungsgesellschaft ist ein traditionelles Leitbild der SPD“, schreibt er. Eben. Deswegen sind seine Überlegungen auch kein Kurswechsel. Sie bedeuten nicht einmal die von seinem Generalsekretär herbeigesehnte „neue Akzentuierung“. Wo Gerhard Schröder „neue Mitte“ sagte und Matthias Platzeck „vorsorgender Sozialstaat“, da sagt Beck einfach „Leistungsträger“. Es ist der ihm gemäße Begriff. Er passt zu seiner halbwegs übersichtlichen Welt in Rheinland-Pfalz. Schröder, Platzeck und Beck haben dabei dasselbe im Blick: die Kernklientel der SPD. Die Mitte. Egal ob die neue oder die alte. „Das ist kein Gegensatz“, sagt Beck.

Das gilt im Grunde genommen seit über 50 Jahren, seit Godesberg. An Becks „Leistungsträgern“ ist nichts neu. Der Kaiser der neuen SPD ist nackt.

Alle diese Begriffe sind ohnehin nur rhetorische Figuren für die dahindümpelnde Programmdebatte der SPD. Beck ist, rücksichtsvoll formuliert, kein Theoretiker. Er dürfte mit der Ausarbeitung eines Parteiprogramms überfordert sein. Also besetzt er Begriffe – und überlässt den Rest den Theorieprofis.

Aufschlussreicher ist da, was der Parteichef über diejenigen denkt, für die die Volkspartei SPD bis vor kurzem eine Heimat war: die sozialen Verlierer, die Ausgeschlossenen. „Dass die Hilfsbedürftigen dabei nicht zur Seite geschoben werden, ist selbstverständlich“, sagt Beck. Ein einziger Satz im Stern. Das ist alles.