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Lesen, schwimmen, Karstadt

Mit einer Firmenchronik feiert die Kaufhauskette Karstadt dieser Tage ihr 125-jähriges Betriebsjubiläum. Auf die Mitarbeit von Holger Bergt verzichtete sie dabei. Obwohl der Bremer Speditionskaufmann der wohl größte Karstadt-Experte überhaupt ist. Einfach so

„Man kann ohne Probleme einen Abend mit ihm verbringen, ohne dass das Wort ‚Karstadt‘ fällt“

aus BremenChristian Jakob

Seine Visitenkarte ziert ein Abbild einer Karstadt-Filiale, seine Wohnung gleicht einem Karstadt-Museum und sein nächster Urlaub wird ihn nach Leipzig führen – zur Eröffnung eines neuen Karstadt-Hauses. Holger Bergt, 41-jähriger Speditionskaufmann aus Bremen, hat kein Allerweltshobby.

Die kuriose Leidenschaft begann, als sich der einstige Architektur-Student Bergt mit Warenhaus-Bauten beschäftigte. Der amerikanisch inspirierte „Karstadt-Stil“ – ein wissenschaftlicher Terminus, wie er versichert – faszinierte ihn. Und nach und nach fast alles, was mit Karstadt zusammenhing.

Zwei Jahrzehnte später hat Bergt ein stattliches Archiv zusammengetragen. Seine Altbauwohnung im Bremer Ostertor-Viertel beherbergt ein Sammelsurium an Karstadtensien. Längst hat er die Schranken der Architekturgeschichte hinter sich gelassen und auch Werbung, Dekoration und Gastronomie des Warenhauses akribisch dokumentiert.

Während Bergt einige historische Karstadt-Kleiderbügel präsentiert, klingelt es an der Tür. Der Gastronomie-Leiter der Bremer Karstadt-Filiale ist gekommen, in der Hand die Reste einer knallgolden überzogenen Karstadt-Jubiläumstorte samt passendem Wimpel. „Ein guter Freund von mir“, stellt Bergt den Restaurant-Chef vor. Der Freund hat es etwas eilig und geht, die Torte und den Wimpel lässt er da. Er ist nicht der einzige Mitarbeiter des Konzerns, zu dem Bergt einen kurzen Draht hat. „Gute Kontakte“, sagt er, „habe ich mir durch meine Recherchen zu vielen Häusern aufgebaut.“ Mit dem Geschäftsführer des Stammhauses in Wismar ist er inzwischen persönlich befreundet. Mit den Marketing-Leiterinnen aus Hamburg und Berlin trifft er sich ebenfalls privat.

Jeden Monat zieht er die „MAZ“ aus dem Briefkasten, die Karstadt-Mitarbeiterzeitung – seit 15 Jahren. Eine Gefälligkeit der Presseabteilung. Die Ausgaben aus der Zeit davor, bis zurück ins Jahr 1951, hat sich Bergt bei ebay ersteigert. Lückenlos.

Überhaupt: Das Internet ist eine ergiebige Quelle für seine Sammelleidenschaft. Sein teuerstes Devotional sind elf alte Werbegrafiken, die er vor Jahren für 100 D-Mark ersteigert hat. Eine Stunde pro Tag verbringt Bergt damit, im Internet die Konzern-Entwicklung zu verfolgen und nach neuen Sammelobjekten Ausschau zu halten. Tausende von Exponaten sind auf diese Weise zusammengekommen, die wichtigsten hat Bergt sogar doppelt. „Falls es mal brennt“, scherzt er. Warum er das tut? „Aus Interesse.“ Woran? „Hauptsächlich an der Architektur.“

Bergt, in Jeans und Turnschuhen, die Sonnenbrille auf die Stirn geschoben, ist kein verstaubter Archivar. Er kauft längst nicht nur bei Karstadt ein. Und auch an Selbstironie mangelt es ihm nicht. Zum Treffen in der Bremer Filiale erscheint er mit einem riesigen, aus der Tasche baumelnden Schlüsselband. Von Karstadt.

Bei aller Leidenschaft hat sich der Hobby-Historiker kritische Distanz bewahrt. Gleich nach den Karstadt-Tassen zieht er den Ordner aus dem Regal, dessen Inhalt, Dokumente aus der Nazi-Zeit, die Unterordnung des Konzerns unter das NSDAP-Regime belegt. Drucksachen einer NSDAP-Belegschaftsorganisation etwa. Die „reichsdeutsche Propaganda“ darin, meint Bergt, sei „schlimm“ – aber „leider typisch für die Zeit“.

Sein Umfeld hat sich mit der ausgefallenen Sammelleidenschaft gut arrangiert. „Wir freuen uns schon auf unsere Leipzig-Reise,“ sagt eine Freundin, die gerade zu Besuch ist. Zu sechst werden sie Ende September nach Sachsen reisen: Ein Städtetrip – inklusive Besuch der Neueröffnungs-Feier der Leipziger Karstadt-Dependance. Diverse Male, erzählt die Freundin, habe sie Bergt schon begleitet, wenn er irgendwo in Deutschland alte Karstadt-Stücke abholte. „Ansonsten ist er aber völlig normal“, beteuert sie: „Man kann ohne Probleme einen Abend mit ihm verbringen, ohne dass das Wort ‚Karstadt‘ fällt.“

Auf der Suche nach alten Bauplänen und Fotos hat Bergt die Archive sämtlicher Vorkriegs-Filialen des Unternehmens besucht. Meist nahm er sich Urlaub dafür. In guter Erinnerung ist ihm vor allem der Leiter des Karstadt-Zentralarchivs in Essen geblieben. „Der war wirklich kompetent“, sagt Bergt.

Der Austausch funktioniert inzwischen auch in die andere Richtung. „Mittlerweile ist es soweit, dass ich angesprochen werde, wenn historische Dokumente gebraucht werden.“ Für die Filialen in Bremen und Bremerhaven durfte Bergt bereits Ausstellungen bestücken. Und als die Filialleitung aus Berlin-Charlottenburg erfolglos versuchte, das Alter des Kaufhaus-Gebäudes festzustellen, wandte sie sich schließlich an ihn. Bergt konnte helfen. Andere Quellen gab es nicht.

Bei der Jubiläumsfeier des Karstadt-Stammhauses in Wismar im Mai wurde ein Karstadt-Vorstandsmitglied auf den freischaffenden Firmen-Experten aufmerksam. Er bot ihm an, weitere Ausstellungen für das Unternehmen zu erarbeiten und an der Chronik für das 125-jährige Konzern-Jubiläum mitzuwirken. Viel wurde daraus nicht. Nach einem Treffen teilte man Bergt mit, „auf externe Quellen“ verzichten zu wollen – angeblich aus Kostengründen.

Beim Geburtstag am Donnerstag wurde das Werk erstmals verteilt. Frustriert Bergt das? „Frustrieren nicht“, sagt er: „Aber ich hätte mir mehr erwartet.“ Die Chronik sei „etwas oberflächlich“ geraten, klagt er. „Vielleicht hätten sie einiges mit mir besprechen können.“

Der Leiter des Essener Zentral-Archivs ist schon vor Jahren in den Ruhestand gegangen. „Die Stelle ist seit einiger Zeit unbesetzt“, weiß Bergt. Wäre er nicht prädestiniert als Nachfolger? Bergt lächelt. „Vielleicht sollte ich mich wirklich einmal dort bewerben.“

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