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Archiv-Artikel

Caught in the Akt

Eine hübsche Doku-Reihe zeigt: „Nackt ist die Kunst“ (Sa., 20.15 Uhr, Arte) – und meist männlich der Künstler

Lesbar als Landschaft inszenierte Gustave Courbet 1866 den kopflosen Frauenkörper mit gespreizten Beinen, die den Blick auf die Vagina freigeben. Der „Ursprung der Welt“, so der Titel des Gemäldes, galt bis ins späte 20. Jahrhundert als Skandal. Doch ob die – meist weiblichen – Körper geradezu göttlich im Zentrum stehen wie bei Botticellis Venus oder sich wie auf Gemälden von Goya erotisch und lasziv auf einem Ottomanen lümmeln, der Körper ist stets Projektionsfläche für Sehnsüchte und Begierde. Gleichzeitig dient er als Sinnbild für die Verletzbarkeit des Menschen im Spannungsfeld von Religion, Ideologie und Macht.

An vier Tagen im September widmet sich Arte zu bester Zeit dem Akt in der Bildenden Kunst. Die Folgen widmen sich der Sünde, der Unschuld, der Enthüllung und den Männern. Werke aus den letzten sechs Jahrhunderten dienen dem SWR-Autor Rudij Bergmann als Material seines Filmessays. Bergmann hat in vielen Sammlungen Europas und in den USA gefilmt und dabei auch Werke von unbekannteren Künstlern wie den New Yorker NO!artisten Boris Lurie mit seinem NO über einer von Hand gespreizten Vagina (1972) berücksichtigt. Die Kamera setzt mit einer Totalen ein, bevor sie sich behutsam den Details nähert. Die Close-ups erlauben ein Studium, das im Museum aus Sicherheitsgründen kaum möglich ist.

Leider ist Marie-Jo Lafontaine die einzige Künstlerin in diesem Parforceritt durch die Kunstgeschichte. Es wäre interessant gewesen zu untersuchen, inwieweit sich der weibliche Blick auf Sexualität vom männlichen Zugriff unterscheidet. In der letzten Folge über die Männer beleuchtet der Autor ausführlich Michelangelos David und bewertet ein Selbstporträt von 1512 als Faun mit erigiertem Penis im Kopfschmuck als Beleg dessen Homosexualität. Die Videoinstallation „Tränen aus Stahl“ (1987) von Marie-Jo Lafontaine zeigt auf 27 gleichgeschalteten Monitoren Männer emsig am idealen Körper arbeitend, den Michelangelo bereits Jahrhunderte früher gefeiert hat. Bodybuilding als Apotheose am Ende des 20. Jahrhunderts.

Auch wenn hier der männliche Blick dominiert, ist die Serie lobenswert. Bergmanns Essay verwebt Entstehungsgeschichte nebst Spekulationen zu Werken, Künstlern und Auftraggebern mit eigenen Interpretationen zu einer spannenden Kulturgeschichte. Das ist TV für Minderheiten und könnte deshalb in Zukunft gefährdet sein, denn dass auch bei Arte auf die Quote geschielt wird, pfeifen die Spatzen von den Dächern. MATTHIAS REICHELT