: Wüstenwandern im Ödland
Das größte künstliche Seengebiet Europas entsteht derzeit in der Lausitz im südlichen Brandenburg. Ehemalige Braunkohlehalden sollen hier im Herbst geflutet werden. Stiftungen von Nabu und Heinz Sielmann kaufen Gebiete auf
von CHRISTINE BERGER
Hoch oben auf der Förderbrücke weht ein kräftiges Lüftchen. Turmfalken umkreisen die riesige Stahlkonstruktion F60, eine ehemalige Anlage, um die Erde beim Braunkohletagebau wegzuschaufeln. 15 Monate war der 502 Meter lange Koloss in Betrieb, dann wurde er 1991 abgewickelt. Seit zwei Jahren nun besteigen Touristen das neue Industriedenkmal mitten in der Pampa im südlichen Brandenburg. Carina Donath arbeitet hier als Fremdenführerin, eine von zehn Angestellten auf der mit rund 4 Millionen Euro zur Touristenattraktion präparierten Förderbrücke. Strom in der Verbrauchsmenge von 72.000 Haushalten hat F60 täglich gefressen, ein Drittel der geförderten Tagesmenge ging für den Eigenverbrauch der Brücke wieder drauf. „210 Menschen arbeiteten hier im 3-Schicht-Betrieb“, so die gelernte Friseurin. 15 Jahre ist das jetzt her. 77.000 Touristen besuchen jährlich die Förderbrücke in Lichterfeld – das ist mehr als laut Wirtschaftlichkeitsberechnung der Internationalen Bauausstellung (IBA) nötig, um den Betrieb effizient zu machen, aber dennoch nicht viel.
Von den 275 Meter langen IBA-Terrassen 30 Kilometer weiter westlich, einer riesigen Schauanlage am Rand des Tagebaus Meuro, blickt man auf die marsähnliche Tagebaulandschaft. Ein beeindruckendes Ödland. Die IBA bietet sogenannte Wüstenführungen an, und tatsächlich kommt Wüstenfeeling auf in der aufgeworfenen wüsten Erde mit ihren wilden Canyons.
Die Tour ist allerdings nicht mehr lange zu buchen: In diesem Herbst beginnt die Flutung, dann entsteht hier ein See, und dann bekommt die schon vorab hingestellte Seebrücke endlich einen Sinn. „Von der Wüste aufs Wasser“ heißt dem entsprechend auch die Radtour unter fachkundiger Führung durch den zukünftigen Ilse See ins bereits weitgehend geflutete Lausitzer Seenland. 25 Tagebauhalden in der Lausitz werden derzeit für knapp 10 Milliarden Euro geflutet, wieder nutzbar gemacht und renaturiert, 140 Quadratkilometer Fläche insgesamt. Die Seen in den Gruben der ehemaligen Abbaugebiete sollen durch Kanäle untereinander verbunden werden.
Bei der Einweihung des ersten schwimmenden Hauses auf dem Partwitzer See waren Anfang Juni rund 6.000 Neugierige vor Ort. „Viele Berliner sind interessiert an dieser neuen Wohnform“, so Rainer Müller von der IBA. Das erste Ferienhaus sei während der Sommersaison bereits ausgebucht, weitere sollen folgen. Auch eine schwimmende Tauchstation wird es bald geben. Dafür hat das Land Brandenburg 45 Prozent der Kosten übernommen – als Fördermaßnahme für Tourismus in strukturschwacher Gegend.
Strukturschwach ist die Gegend allerdings. Die Arbeitslosenrate von 30 Prozent macht den Landkreisen zu schaffen, in denen die Braunkohle vor der Wende 70.000 Menschen beschäftigt hat. Heute sind es noch 8.000. Die IBA, die von vier Landkreisen und der Stadt Cottbus finanziert und vom Land Brandenburg gefördert wird, soll noch bis 2010 das Landumbauprogramm begleiten. Es ist ein gigantisches und ideenreiches Projekt. Wie der Wandel vom Industrie- und Kohlerevier zur Freizeit- und Dienstleistungsregion erfolgreich funktioniert, hat das Ruhrgebiet vor zehn Jahren vorgemacht. Auch dort hat die damalige IBA Emscherpark von 1989 bis 1999 einen wesentlichen Beitrag zum Umbau beigetragen. Tauchen im ehemaligen Gasometer, Klettern am Förderturm oder Internetagenturen in ehemaligen Zechen sind dort heute Realität und erfreuen sich bei den Besuchern großer Beliebtheit. Rund 8 Millionen Menschen wohnen im Einzugsgebiet. Davon kann das Lausitzer Seengebiet nur träumen.
Uwe Steinhuber von der Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH, die zuständig ist für die rund 60.000 Hektar Bergbauflächen in der Lausitz, sieht das Vorhaben pragmatisch: „Bei den Restlöchern bietet sich die Flutung eben an.“ Eine sogenannte Wiedernutzbarmachung der Braunkohlebrachen ist für das Bundesunternehmen Pflicht. „Wenn Sie das sich selbst überlassen und sichern müssen, kostet allein der Zaun eine Milliarde Euro“, so der Pressesprecher. Und die Bürger der Region wollten schließlich auch die Flächen wieder zurückhaben.
Carina Donath ist mit ihrer Gruppe auf der Bergstation angekommen. So heißt das kleine Häuschen in 74 Meter Höhe auf der Förderbrücke. „Dort unten kommt der Jachthafen hin“, sagt sie und zeigt auf das zerklüftete Seeufer, „und da hinten die Jugendherberge und der Campingplatz.“ In fünf bis zehn Jahren soll hier im Sommer der Bär los sein, so hofft der Landkreis. Noch ist der ph-Wert des Wassers zu sauer, das Baden streng verboten in dem See, der bald 53 Meter tief sein wird. Neben dem Gewässer hat der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) mit seiner Stiftung Nationales Naturerbe 1.600 Hektar gekauft, um die Landschaft „zu retten“. Auch die Heinz-Sielmann-Stiftung hat sich in der Lausitz ein Gebiet von 2.700 Hektar für die Renaturierung gesichert. Spendengelder, die gesammelt wurden, um den Ankauf zu finanzieren, sind in Erde geflossen, die in der Region sowieso niemand mehr will. Die Stiftung bietet in ihrem Naturschutzzentrum Wannichen Kurse für Kinder an, auch ein Radwegenetz ist mit Hilfe der Stiftung entstanden. „Werden sie Pate für Paradiese“, wirbt der Nabu auf seiner Website; schon für 200 Euro kann der Nabu einen Hektar Land in der Lausitz erwerben.
Andreas Pöschl ist einer der wenigen in der Region, die die Lage realistisch betrachten. „Uns fehlt das Einzugsgebiet“, bekennt der Leiter des Kulturamtes im Landkreis Elbe-Elster. Die älteste Brikettfabrik Europas in Domsdorf bei Bad Liebenwerda, die in ein Kulturzentrum und Museum umgewandelt wurde, wird von gerade mal 7.000 Menschen jährlich besucht. Und das sind vor allem Schulklassen aus der Region. „Bustouristen kommen immer weniger“, sagt er und fragt sich, woran das liegen mag. Nicht einmal die Dresdner, die nur 50 Kilometer entfernt wohnen, würden herfinden. Um die Gegend attraktiver zu machen, entwickelt er gerade ein Projekt zur Energiegeschichte mit dem Thema „Wind – Wasser – Kohle“. „Hier steht die Wiege der Energiegewinnung“, begeistert sich Pöschl. Deshalb will er demnächst in Kooperation mit der IBA Fahrradtouren zu diesem Thema organisieren.
Noch ist „Kohle“ vorhanden, um die Pläne der Lausitzer Landschaftsplaner in die Realität umzusetzen. Bis zu 900 Liter Wasser pro Sekunde sprudeln aus den Rohren in die neuen Seen, demnächst bekommt die F60 einen neuen Anstrich. „Mit 160 Tonnen Farbe“, berichtet die Fremdenführerin, „der erste Anstrich seit der Wende.“