piwik no script img

Archiv-Artikel

Im Windschatten des Weltgeschehens

Oman öffnet sich dem Tourismus und grenzt sich von seinem erfolgreichen Nachbarn Dubai ab. Oman ist genauso teuer, aber noch weniger erschlossen als die Drehscheibe Dubai. Es ist mit seinen Stränden und Märkten „märchenhaft schön“ und ein bisschen auch liberal und modern

von MICHAEL RINGEL

Marta verdreht unmerklich die Augen, ihr Mund jedoch zeigt das professionell freundliche Lächeln. Der Hotelgast hatte sie gefragt, wann er morgen sehr früh tauchen gehen könne, wenn er gleichzeitig ausschlafen wolle. „Ich rufe Sie um sechs Uhr morgens an und sage Ihnen Bescheid.“ Aber dann könne er doch nicht ausschlafen, wundert sich der Tourist und begreift den Witz nicht.

Es ist zehn Uhr abends, und die kleine, energische Bulgarin ist immer noch im Dienst, nach einem 16-Stunden-Tag, wie an jedem von sechs Arbeitstagen in der Woche. Und sie wird jetzt auch diesen Tauchtermin noch herausfinden und gleich die nächste Frage beantworten: warum Sie hier in Oman sei. Nun verdreht sie die Augen schon ein wenig mehr: „Wegen der Arbeit natürlich“, sagt sie. Doch dann breitet sie die Arme aus über die nächtlich schimmernde Meeresbucht am Indischen Ozean: „Ist das nicht märchenhaft schön hier?“

Marta ist eine Nomadin des Tourismus. Sie arbeitet in dem neuen Resort am Rande der omanischen Hauptstadt Maskat. Drei Hotels hat der Konzern Shangri-La in die Felsenbucht bauen lassen, von der gehobenen Klasse bis zur Luxusherberge mit Suiten. Martas Visitenkarte weist sie als „Director of Communications & Public Relations“ aus, und eine Meisterin in Kommunikation ist sie, denn sie beantwortet jede noch so naive Frage mit routinierter Freundlichkeit. Die Endzwanzigerin hat schon eine Menge Stationen in ihrem Berufsleben hinter sich gebracht. Wie die meisten Tourismusnomaden hat es sie von Dubai nach Oman verschlagen. Und wie alle Ausländer betont sie stets, wie märchenhaft schön das Sultanat ist – im Gegensatz zu Dubai. Ein Nachsatz, dem man in Oman immer wieder hören wird: märchenhaft – und nicht wie Dubai.

Dubai, das ist der nahe Teufel, der hier gern an die Wand gemalt wird. Nur eine Flugstunde ist das Zentrum des Golftourismus entfernt. Aber wie Dubai will hier niemand sein: dieses Las Vegas am Persischen Golf, wo sie gerade mitten in der Wüste eine Skihalle eröffnet haben, wo 80 Prozent der Baukräne dieser Welt stehen, wo man alles bekommt und damit auch alle Schrecken dieser Welt zu Hause sind, wie die Omaner in einer Mischung aus Abscheu und Neid versichern.

Vorsichtig öffnet sich Oman seit einigen Jahren der Welt. Bislang steuert der Tourismus weniger als 1 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Erst seit rund zehn Jahren werden überhaupt Touristen ins Land gelassen, das mit seiner exponierten Lage an der Einfahrt zum Persischen Golf in den vergangenen Jahren eine enorme geografisch-strategische Bedeutung gewonnen hat. Gegenüber der Iran, im Rücken Saudi-Arabien und Jemen, orientiert sich Oman stark nach Asien. Die meisten ausländischen Händler und Arbeiter stammen aus Indien und Pakistan oder aus Indonesien und den Philippinen. Nur rund 100.000 Touristen besuchen jährlich das Land, und es gibt erst wenige, wenn auch hochklassige Hotels.

Schroff und karg ist das Land, auf den ersten Blick abweisend mit seinen Wüsten, Gebirgen und mit Geröll gefüllten Wadis. Zu 80 Prozent besteht Oman nur aus Sand und Stein, aus gewaltigen aufgefalteten Bergmassiven und weitläufigen Wüsten. Laut Statistik gibt es nur drei Regentage im Jahr. In den Sommermonaten werden die Temperaturen unerträglich, dann flüchten selbst die Omaner in den kühleren Süden – oder sie fliegen gleich nach Europa. Zwischen Oktober und April allerdings ist das Klima geprägt von einer trockenen Hitze, die durch das Meer zumindest in den Küstenregionen erträglich wird. Und die Küste, das sind immerhin 1.400 Kilometer entlang dem Indischen Ozean, der dem felsigen Land viele einsame und noch unerschlossene Traumstrände abgerungen hat.

Die Omaner sind traditionelle Muslime, die sich selbst als liberal verstehen. Oman ist historisch das einzige arabische Land, das nicht mit dem Schwert zum Islam bekehrt wurde, sondern sich geschickterweise brieflich der seinerzeit neuen Lehre anschloss, was zu einer gemäßigten und toleranten Einstellung gegenüber Andersgläubigen und -denkenden führt. Hinzu kommt, dass Oman historisch eine Handelsnation ist und lange über Teile der westafrikanischen Küste wie auch die Insel Sansibar herrschte. Der afrikanische Einschlag und ein gewisser Grad an Lässigkeit ist den Menschen deutlich anzumerken. Offiziell gibt es zwar außer in den Hotels keinen Alkohol. Doch finden sich nicht wenige Omaner, die während der Mittagspause in den einheimischen Lokalen zu viel Wein und Whiskey trinken und anschließend mit ihren Limousinen über die Autobahnen jagen.

Wenn man nicht gleich bei einem Reiseunternehmen bucht, das Erfahrung im Arabien-Geschäft hat und alles komplett durchplant, sollte man in den Hotels nach Führern und Fahrern fragen. Denn so reizvoll ein Strandurlaub ist, ganz Oman ist sehenswert: der Souq in der Hauptstadt Maskat, wo in einem Irrgarten kleiner Gässchen Händler von Weihrauch bis Schmuck alles anbieten; die große Moschee in Maskat, die als einziges Gotteshaus von Touristen besucht werden darf und den weltgrößten Gebetsteppich und den weltgrößten Kronleuchter birgt; die seit einigen Jahren restaurierten Festungen im Landesinnern, die das Leben der Imame und örtlichen Herrscher in der Vergangenheit zeigen; die traditionellen Märkte wie den Fischmarkt von Sohar oder den Viehmarkt von Nizwar; die Ramlat al-Wahiba mit ihren endlosen Sanddünen und den plötzlich auf ihren Kamelen auftauchenden Beduinen, die zwar nur noch Schau-Beduinen sind und längst in festen Stadthäusern leben, aber für die Touristen zeitweise in die Wüste zurückkehren; und schließlich die faszinierenden Oasen, wie das wunderschöne Wadi Bani Khalid mit seinem aus den Felsen fließenden Wasser, in dem man sogar baden kann.

Seine Entwicklung verdankt Oman, glaubt man den ständigen Bekundungen der Omaner, allein seinem Herrscher, Sultan Qaboos bin Said al Said. Für ihn gilt die absolutistische Formel „L’état, c’est moi“. Der Staat Oman ist das Sultanat, und der Sultan ist König, Landesvater, Regierungschef in einem. Er lebt in seinen diversen Palästen, wenn er im Lande ist, denn er besitzt auch Schlösser in Frankreich und Deutschland, wo er sich meist im Sommer aufhält. Er ist unverheiratet und hat keine Kinder. Was Spekulationen über sein Privatleben befördert, doch erfährt man darüber nichts. In Oman wird sehr gern eine alte arabische Weisheit zitiert: „Was du unter deinem Dach tust, sieht Allah nicht.“

Über den Sultan kursieren die üblichen orientalischen Geschichten: dass der sagenhaft reiche Herrscher sich nachts verkleidet heimlich unters Volk mischt und die Armen mit viel Geld beschenkt. Nicht umsonst ist Oman das Land Sindbads des Seefahrers, der wie die Sagen um seine Abenteuer von der fruchtbaren Küste der Südprovinz stammen soll, an der Sultan Qaboos aufwuchs, bevor er nach Großbritannien ging, um zu studieren.

Als einer der ersten Omaner ging Sultan Qaboos ins Ausland, tatsächlich ist er ein moderner Monarch. Nachdem er 1971 das Land nach einem unblutigen Putsch übernahm, öffnete er es nach Westen. Er beutete das Land nicht aus, sondern modernisierte es in den letzten 30 Jahren konsequent. Gab es in Oman Mitte der Siebzigerjahre landesweit nur 900 Schüler und 30 Lehrer, sind es heute nach offiziellen Angaben 600.000 Schüler an etwa 1.200 Schulen – für eine Bevölkerung von 2,6 Million Einwohnern eine gewaltige Zahl. So ist im Landesinnern stets das modernste Gebäude im Ort die Schule. Viele Omaner haben mittlerweile an internationalen Hochschulen oder an der 1986 gegründeten Sultan-Qaboos-Universität in Maskat studiert. Diese gebildeten Omaner drängen nun auf den Arbeitsmarkt und sollen nach Vorstellung der Regierung Arbeitsplätze übernehmen, die bislang Ausländer innehatten. Das entsprechende Regierungsprogramm und damit zugleich größte aktuelle Problem Omans heißt: „Omanisierung“.

Ziel der „Omanisierung“ ist es, in den kommenden fünf Jahren 80 Prozent aller Arbeitsstellen im Land mit omanischen Bürgern zu besetzen. Aus der Sicht der Regierung ist die „Omanisierung“ nur logisch. Die inzwischen gutausgebildeten Omaner sollen sich nicht ausruhen dürfen auf einem Wohlstand, der durch Brennstoffvorkommen gegeben ist. Allerdings geht die „Omanisierung“ auf Kosten der Ausländer; für die asiatischen Händler etwa käme sie einer Enteignung gleich. Muss man doch als Ausländer sein Geschäft de facto einem Omaner übergeben, der wenigstens nominell die Geschäfte führt und sich für seine Funktion sicher gut bezahlen lässt. Das hat zu einer großen Unruhe in dieser Bevölkerungsgruppe geführt, auch da man sich der eigenen Rechtlosigkeit bewusst geworden ist. Möglichkeiten, rechtlich gegen die Omanisierung vorzugehen, hat jedoch niemand. In der Tourismusindustrie hingegen herrscht allgemeine Gelassenheit. Die Omanisierung lasse sich überhaupt gar nicht durchsetzen und werde aus Mangel an Kräften fehlschlagen, heißt es. In fünf Jahren werde die Wirtschaftsentwicklung diesen Plan wahrscheinlich sowieso außer Kraft setzen. Dann brauche man wieder jeden Ausländer im Land. Bis dahin arrangiert man sich mit den Verhältnissen und sucht sich omanische Partner mit Verbindungen in die Bürokratie, die immer noch das größte Hindernis für die weitere Entwicklung des Landes ist. Alle Ausländer können blühende Anekdoten erzählen über das, was alles schiefgehen kann im Staate Oman. Der aber – und sofort kommt wieder die Einschränkung – noch ein Traum sei im Gegensatz zu anderen Gegenden der Welt. Von Dubai gar nicht zu reden.

Hinter vorgehaltener Hand erfährt man dann die Geschichte vom Sultan und den Islamisten. Im vergangenen Jahr sei die Armee Seiner Majestät plötzlich gegen die 300 Islamisten im Land vorgegangen, die angeblich einen Umsturz geplant hätten. Die Rädelsführer seien zum Tode verurteilt worden und der Rest sei zu langjährige Haftstrafen verurteilt worden. Einen Monat später aber habe der Sultan alle Beteiligten begnadigt und freigelassen – und seitdem habe man seine Ruhe vor dem radikalen Islamismus in Oman.

Und was ist, wenn der Sultan stirbt? Dann kommt eben ein anderer aus der Familie an die Macht und wird alles genauso weiterführen, versichert jeder. So etwas wie die Omanisierung oder der Tod des Sultans seien Hürden, die man locker nehmen werde. Aber ein großer Krieg in der Region würde jede wirtschaftliche Entwicklung und auch das Tourismusgeschäft zerstören. Und dann? Marta, die kleine, energische Bulgarin, zuckt lächelnd mit den Schultern. Dann müsse sie wohl weiterziehen. So sei das eben als Nomade in der Globalisierung. Und die Omaner? Marta lacht. Um die müsse man sich gar keine Sorgen machen. Als alte Seefahrer wüssten die Omaner sehr gut, wie man im Windschatten der Geschichte segelt.

Diese Reise wurde durch Einladung des Veranstalters Sarafea-Reisen ermöglicht