: Immer schön exzessiv unter Habsburgern
NACHBARLAND Ann Cotten, Thomas Stangl, Michael Ziegelwagner – unsere Kandidaten für den inoffiziellen österreichischen Buchpreis
VON RENÉ HAMANN
Warum ist die deutsche Gegenwartsliteratur so unglaublich langweilig? Eine Frage, die viele bewegt dieser Tage. Schauen wir doch mal in unserem gleichsprachigen Nachbarland, ob es da besser ist. Sie wissen schon, dem Land mit der zwischen Berghängen eingeklemmten natürlichen Melancholie und Todessehnsucht, dem Mutterland der „irrelevanten Sprachexperimente der Retro-Avantgardisten“ (Maxim Biller) und was der meist zutreffenden Klischees noch so wäre: Österreich. Ein Land, das im Gegensatz zu Deutschland und der Schweiz keinen eigenen Buchpreis hat. Tun wir hier einmal so, als gäbe es ihn, und das hier wäre die Shortlist, erster Teil.
In Österreich werden Traditionen gepflegt, das untergegangene Reich der Habsburger ist nicht nur architektonisch immer noch sehr präsent, vor allem in der Hauptstadt Wien. Michael Ziegelwagner, Titanic-Autor mit entsprechend deppertem Blick, zumindest auf seinen Autorenfotos, gebürtiger Niederösterreicher, beschäftigt sich in seinem dritten Buch und ersten Roman „Der aufblasbare Kaiser“ genau damit: mit der Tristesse österreichischer Gegenwart, der entsprechenden Politik und dem aufkommenden regressiven Wunsch, Otto von Habsburg solle den Thron bittschön wieder besteigen.
In dem kurzweiligen, unterhaltsamen Buch geht es um eine monarchistische Geheimloge, die ebendiesen Wunsch sehr pflegt und ansonsten mit allerlei Verschrobenheiten glänzt. Verschroben ist auch der eigentliche Star des Romans, die Hauptfigur Vera Beacher („wie in: beachten“), 26, einfache Büroangestellte, mit gesundem Selbstbewusstsein bei allerlei Neurosen. Eine sympathisch gezeichnete Figur, die man am liebsten gleich selbst kennenlernen möchte – die Monarchisten sind dagegen obskur, deren Belange „für misch persönlisch jedoch völlisch uninteressant“, um es mal auf gut rheinländisch zu sagen.
In den besten Absätzen schafft es Ziegelwagner, den Wiener Alltag in nahezu genazinohafter Genauigkeit zu erfassen. Aber er blickt zu selten über den Rand des Banalen hinaus – und wenn, rettet er sich in Karikaturen wie die der Monarchistengruppe oder Veras Polterabendfreundinnen. Natürlich hat das Charme, und der Roman bleibt auch im vollen Sinn amüsant.
Über die tatsächlichen politischen Zusammenhänge im derzeitigen Wien erfährt man aber bei Thomas Stangl, 48, gebürtiger Wiener, schon etwas mehr. „Regeln des Tanzes“ beschreibt in einer sehr innerlichkeitsbewegten Sprache das Leben und das Denken von einerseits Mona und andererseits ihrer namenlos bleibenden Schwester. Um das Dreieck zu vervollständigen, gibt es noch eine männliche Erzählerfigur: ein älterer Mann namens Walter Steiner, ein Akademiker mit Doktortitel, der sich auf die Suche nach Ab- und Bezügen macht, er findet alte Filmdöschen, deren Entwicklung ihn auf die Spuren der beiden politisch aktiven Schwestern führt und in eine weithin schmerzhafte Vergangenheit.
Klingt jetzt nach Klappentext, diese Zusammenfassung, was daran liegt, dass die sehr zähflüssig angelegte Handlung so auf den Punkt gebracht werden muss; was man hauptsächlich liest, sind seitenweise Beschreibungen von Inner- wie Äußerlichkeiten, mal politisch aufgeladen (Demonstrationsbeschreibungen), mal leer wie ein gewöhnlicher Alltag, was bestimmt auch so gedacht war, sich aber ausnimmt wie die nicht aufregenderen deutschsprachigen Romane der siebziger und achtziger Jahre. Nicolas Born wäre noch ein guter Vergleich, oder aus der jüngeren Zeit Ulrich Peltzer: Aber Borns Blick war weniger sentimental, und in seinen Ausdeutungen radikaler, und Peltzer versteht es, trockene Passagen mit schnellen, pointierten Dialogen oder slapstickhaften Bewegungen zu konterkarieren.
Stangl hingegen pflegt die langatmige Genauigkeit, die es aber auch nicht in einen D.-F.-Wallace’schen Wahnsinn oder einen Mikroskop-Fetischismus wie im Nouveau Roman schafft. Immerhin gelangte er auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2013. Für den hier ausgelobten inoffiziellen österreichischen Buchpreis reicht es nicht.
Kommen wir zu Ann Cotten, der 30-jährigen Tochter amerikanischer Eltern, ihrerseits inzwischen in Berlin ansässig. Im Betrieb so bewundert wie gefürchtet, eine Lyrikerin mit hohem Output und jetzt schon einer gewaltigen Ansammlung von Preisen. Sie vertritt am ehesten die oben angedeutete avantgardistische Folge; in „Der schaudernde Fächer“ versucht sie sich an der Form, die in der deutschsprachigen Literatur von Verlagen, Verlagsvertretern, der Presse und den Lesern am meisten unterschätzt wird, und das ganz zu Unrecht: der Kurzgeschichte. Wobei von Cotten natürlich keine regelkonforme Umsetzung angloamerikanischer Tradition zu erwarten ist. Vielmehr schimmert ein romantischer Grundton durch ihre Storys, der je nach Ort der Handlung an lange verstorbene Russen (Lermontow zum Beispiel) oder an tote oder lebendige Japaner gemahnt.
Auf Handlungsebene geht es indes alles andere als romantisch zu. Hier wird Liebe verhandelt, so wie in den beiden Büchern ihrer Landsleute auch, nur ganz anders. Auch mit den neobourgeoisen Biedermeierbefindlichkeiten aus Leipziger, Hildesheimer oder Wahlberliner Schulen hat das nur wenig gemein. Es ist vielmehr ein egozentrisch motivierter Dekonstruktionstrip, Liebe als Bewegung, Liebe als Möglichkeit für Handlung, die über den üblichen monogam-treuen Regelkatalog hinausgeht. Es gibt meistens ein Ich, es gibt Frauen und Männer, mit denen das Ich etwas anfängt, es gibt Zurückweisungen so herum und anders, und durchaus explizit, aber immer scheinpoetisch beschriebenen Vollzug.
Im Gegensatz zu Maxim Biller glaube ich nicht, dass Ann Cottens Buch nach kurzer Aufmerksamkeit verschwinden wird, dafür ist es zu radikal und in ihrer Exzessivität ähnlich dem letzten Roman von Helene Hegemann (noch so was Unterschätztes). Beiden Autorinnen kann man auch prima dabei zuschauen, wie sie allmählich an ihrer Meisterschaft feilen. Sprachlich pendelt Cottens Buch, das mit Gedichten durchsetzt ist, zwischen quälender Prätention und genau-spielerischer Finesse. Kann man auch schnell nicht mögen, das. Was den inoffiziellen Buchpreis betrifft, aber: Favoritin.
Im Juni, wenn endlich der neue Roman von Marlene Streeruwitz erscheint, schauen wir dann weiter.
■ Ann Cotten: „Der schaudernde Fächer“. Suhrkamp, Berlin 2013, 251 Seiten, 21,95 Euro ■ Thomas Stangl: „Regeln des Tanzes“, Droschl, irgendwo 2013, 278 Seiten, 22 Euro ■ Michael Ziegelwagner: „Der aufblasbare Kaiser“, Rowohlt.Berlin, Berlin 2014, 256 Seiten, 19,95 Euro