: Nach der Entschuldigung – das Unbehagen bleibt
Am Freitagmorgen hat Sibylle Lewitscharoff sich im ZDF-Morgenmagazin für ihre abwertenden Äußerungen über künstlich gezeugte Kinder entschuldigt.
Das ist gut, und man ist ihr dankbar dafür. Aber was bleibt, sind ein sehr großes Unbehagen und eine Verstörung. Denn ihre Leipziger Rede ist ja nicht nur wegen der Stelle über die Kinder schrecklich. Sie ist es vor allem deswegen, weil Sibylle Lewitscharoff alle anderen Wertentscheidungen und Einstellungen zu Sexualität und Elternschaft als ihre eigenen, christlich-fundamentalistisch geprägten radikal entwertet, ja offenbar noch nicht einmal als solche wahrnehmen kann. Es sei – und sei es nur zur Sicherheit – einmal ausdrücklich festgehalten: Es ist keineswegs eine linke, spinnerte oder perverse Forderung, Sexualität so auszuleben, wie man es kann und möchte – im Rahmen der Verhandlungsmoral unter sexuellen Subjekten (was, um trolligen Kommentaren an dieser Stelle zuvorzukommen, Päderastie von vornherein ausschließt). Das ist schlicht die Normalität in einem liberalen Rechtsstaat. Und festgehalten sei auch, dass Sibylle Lewitscharoff ja ihre eigenen Meinungen über gelingende Elternschaft haben kann – aber in einer bürgerlichen Gesellschaft andere eben auch akzeptieren muss.
Manches in der Rede klingt so, als ob Sibylle Lewitscharoff Phantomschmerzen nach einer sittlichen Ordnung hat, in der für ihre Mitglieder alle Entscheidungen schon vorgegeben sind. Das macht ihre Rede so unfruchtbar bei den Diskussionen um die tatsächlich vorhandenen Knackpunkte in der vom medizinisch-technisch Fortschritt geprägten Gesellschaft. Eine kluge, konservative Stimme, die anmahnt, dass man bei pränataler Diagnostik, Leihmutterschaft und Designerbabys nicht alles umsetzen muss, was technisch machbar ist, wäre in solchen Diskussionen hochwillkommen. Sibylle Lewitscharoff kann diese Stimme nicht sein, weil ihre starke Empörungsrhetorik sie hindert, ihre Mitmenschen als eigenständig entscheidende Wesen ernst zu nehmen. Und weil sie in ihrer Rede außer Gottvertrauen keine Perspektive angeben kann, wie man mit den in der modernen Gesellschaft nun einmal entstehenden Entscheidungssituationen in den Fragen von Geburt und Tod umgehen soll. DIRK KNIPPHALS