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Archiv-Artikel

Die Rückkehr der Höhle

GENITAL Was sich an Zaha Hadids vaginaler Architektur über den Stand der Gleichberechtigung ablesen lässt

Geht es nach der Architektin Zaha Hadid, bauen die Araber in Katar zur Fußball-WM 2022 ein Stadion, das einer Vagina gleicht. Einer mit weich geschwungenen und ineinanderfließenden Seiten, die wie Schamlippen sind. Sie sollen die Zuschauer vor der mörderischen Hitze schützen.

Kaum war der Entwurf – der in seiner vulvaähnlichen Form geradezu Ärger provoziert, wie der Guardian kommentierte – Ende letzten Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt, dementierte Hadid: Blödsinn, das sei keine Vagina. Dem Entwurf soll stattdessen ein traditionelles katarisches Segelboot zugrunde liegen. Wie es zum Dementi kam, ist nicht ganz klar. Ob es Drohungen gab? Schmähungen auf jeden Fall.

Dabei ist der Entwurf der 1950 in Bagdad geborenen, in London lebenden Hadid, die die einzige Frau ist, die im Olymp der Stararchitekten sitzt, genau deshalb genial, weil er eine Provokation ist. In Katar ist der Islam Staatsreligion, die Scharia Grundlage der Gesetzgebung. Kommt noch dazu, dass Fußball nichts als ritualisierte Testosteronshow ist. Die Vagina, die vom Flugzeug aus gesehen eine Höhle ist, stellt diese patriarchalen Verzerrungen in ein ganz neues Licht.

Höhlen, die ersten festen Behausungen also, waren auf der symbolischen Ebene weibliche Orte. Mit einer immer verfeinerteren Baukunst wurde es über die Jahrtausende jedoch möglich, Häuser zu bauen, die in den Himmel wuchsen. Monumentale Gebäude sind die Kultstätten des 21. Jahrhunderts – aus der Luft sehen sie wie Statuen auf dem Altar Erde aus.

Dass neben den massenhaften Hochhäusern, die eine Huldigung an den Phallus sind – immer größer, immer höher –, nun auch vermehrt Gebäude zu sehen sind, die weibliche Geschlechtsmerkmale symbolisieren, lässt Raum für Deutungen. Etwa die, dass die Diskussion über die Gleichberechtigung der Frau im kulturellen Diskurs doch nicht ganz fruchtlos war. Eine andere: Mit den Attacken auf das World Trade Center am 11. September 2001 wurde deutlich, dass der Phallus verwundbar ist, nicht nur die kapitalistische Hybris und die westliche Kultur. Der Angriff war wie das Scheitern des Turmbaus zu Babel, das ebenfalls als Kritik an der Dominanz des Mannes gelesen werden kann.

Renommierte Architekten wandten sich also in den letzten Jahren den weiblichen Formen zu, experimentierten mit neuen Höhlen. Norman Foster etwa baute einen Flughafen in der Wüste New Mexicos, in Oakland entstand eine Kirche, in Lothringen ein Kindergarten. Dementis gab es deswegen nicht. Ja, klar, das sind Vaginas. Dass Zaha Hadid, die einzige Stararchitektin, sich nun jedoch verteidigt, gar verleugnen muss, dass das Stadion in Katar einer Vulva gleicht, zeigt, dass Frauen eben doch noch nicht die Hälfte des Himmels gehört.

WALTRAUD SCHWAB