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Archiv-Artikel

„Zu uns kommen die braven Gäste“

 Silvia & Uwe Schwarzkopf

„Ich hab mir damals geschworen: Nie mehr Gastronomie. Die langen Nächte, der Alkohol – das macht so viel kaputt. In unserem Café in Kaulsdorf haben wir Bier und Wein, aber in Mitte gibt es keinen Alkohol“

Als nichts mehr ging, vor neun Jahren, wurden die Schwarzkopfs Eismacher. In Kaulsdorf eröffneten der 35-jährige Dachdecker und seine sechs Jahre ältere Frau einen Eisladen. Mit fünf Sorten fingen sie an. Heute sind es über hundert. Weil Eis nur im Sommer gefragt ist, überlegten sie, was winters zu tun sei. Sie kamen auf das Naheliegendste: eine Firma für Schneebeseitigung. Ihr„etwas anderer Eisladen“ hat im Sommer seit einem Jahr in der Luisenstraße in Mitte eine Dependance. Dort gibt es eine Leseecke mit ihren Lieblingsbüchern. Darunter: „Der Mond über den Schokoladenbergen“, „Der Traubenzüchter von Bagdad“ und „Werden Sie denn nie erwachsen?“

INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB

taz: Herr und Frau Schwarzkopf, lassen Sie uns über Eis reden. Welches ist Ihnen das liebste?

Silvia Schwarzkopf: Das Mangoeis. Frucht, Wasser und verschiedene Zuckersorten. Sonst nichts. Wie alle unsere Fruchteise. Man muss ja an die vielen Leute denken, die keine Milch vertragen. Beim Mangoeis kriegt man die Farbe von der Natur dazu. So ein helles Orangegelb. Das ist wie Sommer fürs Auge und die Zunge.

Wovon schwärmen Sie sonst noch?

Silva Schwarzkopf: Wir haben über hundert Sorten. Außerdem erfindet mein Mann ständig Neues. Diesen Sommer war Erdbeer mit Basilikum viel gefragt. Oder Kirsch mit Mohn.

Schmeckt man da wirklich den Mohn raus?

Silva Schwarzkopf: Sicher. Weil Mohn drin ist und es nicht nur draufsteht. Das gehört zu unserer Firmenphilosophie, dass wir nicht Himbeer schreiben, wo Rote Bete drin ist.

Uwe Schwarzkopf: Man muss sich ständig selbst in die Rolle des Kunden versetzen und fragen: Wärst du damit jetzt zufrieden, wenn es dir geboten wird? Wir sind unsere härtesten Kritiker.

Silvia Schwarzkopf: Ob etwas ankommt, hängt von den Gewohnheiten ab. In Italien ist Eis viel süßer als bei uns. Und so ’ne Sorte wie „Hot Schoko“, Schokolade mit Chili, die ist in Kaulsdorf kein Thema. In unserem Eisladen in Mitte allerdings schon. Oder Vanille mit grünem Pfeffer – das ist was für die Stadt.

Das war jetzt alles Sommereis. Wie viele Arten Wintereis gibt es?

Silvia Schwarzkopf: Wir schließen im Winter. Man muss den Laden nicht krampfhaft auflassen und in der Zeit Currywurst und Pommes verkaufen. Wir wollen, dass sich die Leute aufs Eis freuen. Wenn der Eisladen aufmacht, ist der Frühling bald da. Im Februar fangen wir wieder langsam an, aber dann mit Geschmacksrichtungen, die zur Jahreszeit passen. Käsekucheneis etwa. Da backe ich Kuchen und der wird ins Eis reingebröselt. Oder Bratapfeleis. Zimteis. Heidelbeer-Muffin-Eis.

Mit der Frage nach dem Wintereis war eigentlich jenes auf der Straße gemeint? Wie viele Sorten kennen Sie da?

Silvia Schwarzkopf: Da gibt es natürlich auch Unterschiede. So ein schöner Pulverschnee, der ist leicht zu räumen. Im Gegensatz zu pappigem oder gar gefrorenem Schnee. Da wird die Arbeit gleich schwerer.

Waren Sie selbst schippen?

Silvia Schwarzkopf: Sicher. Wir haben heute einen gutgehenden Betrieb, aber was glauben Sie, das war nicht immer so. Als wir vor neun Jahren anfingen, hat es Zeiten gegeben, wo wir kaum Geld hatten. Wenn wir nicht ein Familienunternehmen wären, hätte es nicht funktioniert. Mein Sohn arbeitet mit. Die Töchter und der Bruder meines Mannes auch. Wir sind so eine Patchworkfamilie, müssen Sie wissen. Aber in der Familie kann man ganz anders auf die Unterstützung setzen. Geben und Nehmen funktioniert auf Vertrauen.

Uwe Schwarzkopf: Es ist schwierig, Personal zu finden. Viele Leute bekommen Hartz IV und haben für sich noch ein paar Wege gefunden, wie sie was dazuverdienen. Denen muss ich erst mal ein Gehalt bieten können, das sie animiert, dafür zu arbeiten. Die Erwartungen gehen bei vielen Leuten an der Realität vorbei. Mir selbst aber ist wichtig, dass ich arbeiten kann. Dass ich mich zeigen kann. So gehöre ich zur Gesellschaft.

Bevor Sie zum Eis kamen, waren Sie selber in so einer Situation, wo Sie vor dem Nichts standen und auf Sozialhilfe hätten landen können.

Uwe Schwarzkopf: Schon zu DDR-Zeiten hatte ich einen Dachdeckerbetrieb. Vor neun Jahren ging er Konkurs. Klassische Insolvenz: Wir sind an uneinbringbaren Forderungen kaputtgegangen.

Sie waren in der DDR schon selbständig. Wie ging das?

Uwe Schwarzkopf: Wir waren ein Familienbetrieb. In Kaulsdorf gab es etliche Selbstständige. Der frühere Lebensgefährte meiner Frau hatte auch einen Gas-Wasser-Installationsbetrieb. Wir haben natürlich mit allerhand Einschränkungen arbeiten müssen. Materialknappheit und so was.

Und wie kommt man von der Dachdeckerei zum Eis?

Uwe Schwarzkopf: Damals war es turbulent in meinem Leben. Ich hatte zuvor meine jetzige Frau kennen gelernt.

Silvia Schwarzkopf: Bei mir ist schon mal eine Beziehung zerbrochen, weil ich mit dem Mann nach der Wende eine Kneipe aufmachte. Ich hab mir damals geschworen: Nie mehr Gastronomie. Die langen Nächte, der Alkohol – das macht so viel kaputt. Überhaupt der Alkohol. Im Café in Kaulsdorf haben wir schon Bier und Wein, aber im Eisladen in Mitte gibt es keinen Alkohol. Mein Mann sagt immer: Zu uns kommen die braven Gäste.

Dennoch haben Sie Ihren Vorsatz, nie mehr in Gastronomie zu machen, gebrochen.

Silvia Schwarzkopf: Nach dem Konkurs haben wir uns hingesetzt und überlegt, was tun? Zusammen mit meinem Vater konnten wir in Kaulsdorf ein Haus kaufen. Er wohnte dort und wir dachten: Unten machen wir ein Eiscafé rein.

Einfach so?

Silvia Schwarzkopf: Wahrscheinlich ist es ein Eiscafé geworden, weil ich nichts mehr mit Alkohol zu tun haben wollte.

Uwe Schwarzkopf: Meine Frau backt gerne Kuchen. Und in Kaulsdorf gibt es nicht so viel.

Es klingt wie vom Tellerwäscher zum Millionär. Man macht mit einem Handwerksbetrieb Konkurs. Dann setzt man sich hin und sagt: Ich mache jetzt Eis und siehe da, es klappt.

Silvia Schwarzkopf: So hört sich das nach neun Jahren an. Aber ich bin ein Mensch, der den Kopf nicht gern in den Sand steckt. „Geht nicht“ gibt’s nicht. Ich bin eigentlich von Haus aus Ingenieurin. Bei meinem damaligen Lebensgefährten habe ich die Buchhaltung gemacht und dann die Kneipe. Nach der Trennung habe ich Buchhaltung im Geschäft einer Freundin gemacht. Sie ging zur gleichen Zeit Konkurs wie der Dachdeckerbetrieb meines jetzigen Mannes. Wir mussten uns was überlegen.

Uwe Schwarzkopf: Am Anfang wollten wir mit fünf Eissorten anfangen. Gar nicht unser eigenes. Wir haben uns mit dem Schöller-Vertreter getroffen. Er kam nach Kaulsdorf, hat sich das angesehen und dann abgewunken. Das wird nichts, was Sie da vorhaben, meinte er.

Da haben Sie es trotzdem gemacht?

Silvia Schwarzkopf: Die Einstellung ist wichtig. Ich kann morgens aufstehen und sagen, das wird nichts. Oder ich kann sagen, das wird was. Wir haben immer in Selbständigkeit gedacht.

Das entspricht gar nicht dem Klischee, das mit Leuten aus dem Osten verbunden wird.

Silvia Schwarzkopf: Gut, viele Ossis denken nicht so. Sie denken in Sicherheit. Vielleicht auch in Bequemlichkeit. Aber ich sage Ihnen, wenn wir die Familie nicht gehabt hätten, hätte es nicht geklappt.

Wo stehen Sie mit Ihrem Café heute?

Silvia Schwarzkopf: Die Leute haben es angenommen. Ich meine, ich will mit meinem Laden Geld verdienen. Aber nicht auf einen Schlag. Heute haben wir in Kaulsdorf einen großen Garten mit Spielplatz, Schaukel und Maltafeln. Bei uns gibt es einen Wickelraum. Die Mütter sollen gern kommen. Das machen sie, wenn ihre Kleinen nicht rumquengeln.

Uwe Schwarzkopf: Sonderwünsche sind bei uns erlaubt. Wenn ich nur ’ne halbe Portion Sahne auf den Kuchen will, freue ich mich, wenn ich das bekomme, ohne eine ganze bezahlen zu müssen.

Silvia Schwarzkopf: Und die alten Leute, mit denen reden wir. Sie haben ja sonst nicht mehr viele, mit denen sie reden können. Bei uns gibt es auch Babynahrung. Aber nur bio.

Woher kommt Ihr Faible für Bio?

Silvia Schwarzkopf: Es schmeckt besser. Wir mögen es lieber. Diese Einstellung haben wir auf den Laden übertragen. Es ist unsere Firmenphilosophie: Nur das, was wir mögen, muten wir anderen zu. Wenn wir können, nehmen wir Zutaten aus ökologischem Anbau. Weil wir das aber nicht durchgängig garantieren können, werben wir nicht damit. Erdbeeren im Winter, da macht man Kompromisse. Mein Mann ist übrigens Vegetarier. Ich hab neulich im Fernsehen gesehen, wie die mit den Schweinen umgehen. Das kann man ja nicht aushalten, obwohl ich selbst gern mal ’ne Bockwurst esse. Trotzdem, die Erde, die schütten so viel Chemie drauf. Das kann nicht mehr lange gut gehen. Sonntags backt mein Mann auf der Café-Terrasse übrigens Brot, wenn’s geht, mit Bio-Zutaten.

Uwe Schwarzkopf: Ich mache so 60 bis 70 Laibe. Der Backofen war ein klassischer Fall von Fehlinvestition. Wir dachten, wir backen Apfeltaschen und so was auf. Es hat sich nicht rentiert. Da haben die Gäste mich gefragt, ob ich nicht Brot backen will. Sie schlugen sogar Rezepte vor. Dinkelbrot mit Rosinen und Nüssen. Ciabatta mit Oliven und so. Das mache ich jetzt.

Das klingt nach Tausendsassa.

Silvia Schwarzkopf: Wir sind umtriebig. Ein Eisfahrrad haben wir auch. Das haben wir in Italien auf einer Messe gesehen. Damit wollten wir vor dem Brandenburger Tor Eis verkaufen. Wieder so eine Fehlinvestition. Wir haben nicht mit der deutschen Bürokratie gerechnet. Es gibt ein Gesetz über ambulanten Straßenhandel. Ich sage Ihnen, da bleiben nicht viele Orte, wo Sie stehen dürfen. Vielleicht am Ende einer Sackgasse – vorausgesetzt, da ist keine Schule, kein Platz und kein Schwimmbad in der Nähe.

Und das mit dem Winterdienst, das haben Sie sich genauso überlegt?

Silvia Schwarzkopf: Das ist, wie alles, aus der Not geboren. Speiseeis funktioniert nur im Sommer. Was macht man im Winter? Wir haben Familienrat gehalten. Da kam das mit der Schnee- und Eisbeseitigung. Wir waren selbst erst mal Subunternehmer, um rauszukriegen, wie es funktioniert. Heute haben wir ein gutgehendes Schneebeseitigungsunternehmen. Aber unsere Philosophie gilt auch da: Den Menschen zugewandt. Wenn Oma Meffert uns bittet, doch den Weg zum Briefkasten freizumachen, dann sagen wir nicht nein.

Also doch so ’ne Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär – mit einem weiteren Laden in der Luisenstraße.

Silvia Schwarzkopf: Vom Tellerwäscher zum Millionär – so weit ist es nicht. Eher von einem, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht. Aber auch der Laden in der Luisenstraße wurde angenommen. Die Leute mögen’s und wir mögen’s, wenn die Leute es mögen.