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Archiv-Artikel

Wer ist hier Ökologe?

Ein Mann stand auf, erhob die Stimme. „Automobilindustrie und Grüne, packt ein“, donnerte er und wandte sich dann direkt an den Grünen Bundestagsabgeordneten Winfried Hermann. „Ich werfe hier seit 20 Jahren in den Laden ein“, rief er, „und so was wie du kommt dann raus.“

Die Gefahr einer näher rückenden Klimakatastrophe war an diesem Wochenende auch andernorts diskutiert worden. Aber nun, am Samstagnachmittag, im Workshop „Mobilitätsvisionen“ wurde das ernsthafte, aber eben auch offiziöse Kongressgebaren für 45 Sekunden durchbrochen. Die ganze existenzielle Wucht des Themas verdichtete sich in drei herausgeschrienen Wörtern an die Zuhörer: „Sie werden sterben!“

Irritationen im Detail

Falls das Wort „sterben“ die Kongressteilnehmer nicht beunruhigt haben sollte, so musste es sie doch zumindest irritieren, dass sie plötzlich gesiezt wurden. Man nennt das wohl einen wahrhaft authentischen Moment. Geschaffen von einem Teilnehmer am Berliner Zukunftskongress der Grünen, der den Eindruck hatte, dass in der Konkretion nicht zu erkennen sei, was Fraktionschef Fritz Kuhn auf einem Panel verkündet hatte („Die ökologische Auseinandersetzung und der Klimaschutz ist die zentrale Aufgabe meiner Partei.“)

Die Frage ist nicht nur, ob es machtpolitisch für die Grünen Sinn ergibt, „Öko marsch“ zu sagen. Sondern: Wie ernst meinen sie es? Und folgt daraus etwas? Kuhn sagt, es werde zwar vielerorts über „das Thema“ geredet, aber nur nebenbei. Man müsse die große Koalition dazu bringen, die Klimafrage zum Topthema zu machen. Bloß wie?

Das Klimaproblem, sagte Utz Claassen, Vorstandsvorsitzender des (Atom-)Energiekonzerns EnBW, sei „vielleicht das größte Problem, das wir haben“. Praktisch eine „vitale Bedrohung“. Er hat einen pastoralen Ton, eine durchdachte Kommunikationsstrategie, und wenn man von einem fernen Planeten käme und das feine Lächeln im Gesicht von Bärbel Höhn nicht sähe, die neben ihm sitzt, könnte man fast vermuten, dass Claassen unmittelbar davorsteht, die Welt zu retten. Will er, wird er. Dafür allerdings muss man „in Ruhe forschen“ Und um das gewährleisten zu können, plädiert er dafür, seine Atomkraftwerke erst mal weiterlaufen zu lassen.

Winfried Hermann, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion, hat sich in seinem Workshop bewusst mit Bernd Gottschalk, dem Präsidenten des Verbandes der Automobilindustrie, duellieren wollen, um nicht in Utopien zu schwelgen, sondern realistisch zu bleiben. Die Autobauer sind Schlüsselindustrie für eine Reduktion der Treibhausemissionen. Als Gottschalk sagt, die deutschen Autobauer hätten sich „bis zur Halskrause mit Rußpartikelfiltern ausgerüstet“, wird gelacht. Als er Tempo-30-Limit in Kindergartennähe ablehnt, weil jeder auch ohne Vorschrift „klug“ genug sei, die Geschwindigkeit zu drosseln, wird geraunt. Aber als er unwidersprochen die letzten Jahrzehnte der deutschen Automobilindustrie als eine wunderbare Effizienz- und Umweltschutz-Erfolgsgeschichte darstellt, beweist sich zwar die Höflichkeit des Gastgebers, aber eben auch wieder nicht der Wille zu einer sofortigen Re-Radikalisierung der Umweltpolitik, wie sie auch in einem Papier von Umweltpolitiker Reinhard Loske, Verkehrspolitiker Boris Palmer und anderen Grünen skizziert wird.

Loske und Palmer nennen ihr Aktionsprogramm charmanterweise ja „neuer Realismus“, was nichts anderes heißt als: Jetzt handeln – oder es ist zu spät. Manche Exegeten und Machtstrategen beschäftigt neben dieser Frage aber offenbar auch jene, inwiefern mit dem Papier die rot-grüne Vergangenheit „beschädigt“ werden könnte. Weil: Wer ist schuld, wenn man feststellt, dass man Handeln versäumt hat, das nicht in die Kohl-Jahre zurückzudatieren ist?

Hermann skizziert sich und die meisten im Jahr 2030 als mobile Rentner, die sich in einer negativ klimaveränderten Welt „radikalisieren“, aber auch zur intelligenten Nutzung der Mobilitätsstruktur beitragen. Ansonsten will er die „deutsche Automobilindustrie retten“, indem er sie dazu bringt, sich zu ökologisieren – um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben.

Das ist sicher ein besseres Argument als die profane Rettung der Welt, aber sein empörter Zuhörer, ein Solarmobil-Lobbyist, stellte sich unter Radikalität etwas anderes vor und brachte als Alternative das Leichtelektromobil Twike ins Spiel. Sein Ansatz lautet: nicht auf Unternehmen warten, sondern mit der Alternative in die Strukturen rein. „Nische“, murmelte Gottschalk. Und auch Hermann winkt ab. Er habe „drei Wahlkämpfe mit dem Twike“ bestritten, es sei unbequem, da fahre er liebe Fahrrad. Etwas anderes wäre es, hätte Daimler statt des Smart („Verbrauch unter aller Sau“) ein massentaugliches Zweisitzer-Solarmobil für die Stadt optimiert. Noch eine Frage ohne Antwort: Wer bringt Daimler dazu? PETER UNFRIED