Die Grünen und die Radikalität : KOMMENTAR VON JENS KÖNIG
Wie viele Fragen dürfen Politiker stellen, auf die sie keine Antwort haben? Keine. Wie viele Antworten auf komplexe gesellschaftliche Fragen dürfen Politiker geben, ohne dass sie gleich zur Formulierung eines Gesetzentwurfes taugen müssen? Auch keine. Ist das gut so? Natürlich nicht.
Die Politik in Deutschland ist einer elementaren Überforderung ausgesetzt: Obwohl ihr die Bürger immer weniger trauen, erwarten sie von ihr doch schnelle, einfache Lösungen für die komplizierten Probleme unserer Gesellschaft. Die Politiker gestehen sich ihre partielle Ohnmacht aber nicht etwa ein, sondern suggerieren vielmehr, sie hätten für alles und jeden eine Lösung. Sie müssten nur an zwei, drei Schräubchen richtig drehen, dann komme die Wohlstandsmaschine wieder in Gang. Das Ergebnis dieser gegenseitigen Täuschung: Die Verhältnisse haben sich radikal verändert, die Parteien haben den Anschluss an diese neue Wirklichkeit verloren, die Wähler wenden sich enttäuscht von ihnen ab.
Wenn es in Deutschland eine Partei gibt, die diesen negativen Kreislauf des Weiter-so durchbrechen kann, dann sind es die Grünen. Das haben sie auf ihrem Zukunftskongress bewiesen. Da debattiert eine Partei die gesellschaftlichen Streitfragen auf hohem intellektuellem Niveau und gibt gleichzeitig ihre politische und konzeptionelle Verunsicherung zu erkennen. Sie vergisst einfach mal für zwei Tage ihre Rolle im erstarrten institutionellen Gefüge dieser Republik. Das ist erfrischend. Es erinnert an die politische Leidenschaft früherer Tage. Es provoziert jedoch gleichzeitig Fragen, denen die Partei gern ausweicht: Wo lag die grüne Zukunft während der letzten sieben Jahre vergraben? Woran ist Rot-Grün gescheitert, wenn nicht an Schröder? Und welche Konsequenzen hat das für die Formulierung grüner Politik im Spannungsfeld zwischen Ökologie, Gerechtigkeit und Bildung als neuer Kernfrage jeder sozialen Politik?
Dieser Kongress kann für die Grünen der Anfang einer neuen Radikalität im Denken sein. Dieses Unterfangen wird jedoch nur dann Erfolg haben, wenn sich die Partei als Agent eines radikalen gesellschaftlichen Wandels versteht – und nicht zuallererst als verlässlicher Koalitionspartner.