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Archiv-Artikel

Vom Abstellgleis geschoben

SCHULE Die Friedrichshainer Ellen-Key-Oberschule fördert lernschwächere SchülerInnen mit einem besonderen Konzept: Sie überträgt ihnen Verantwortung

Die Werkpädagogische Klasse soll lernmüde Jugendliche wieder mit dem Prinzip Schule versöhnen

VON ALKE WIERTH

Am Ende des Tages stehen ein Viergängemenü, fünf Vogelhäuschen und eine Batterie bepflanzter Töpfe, aus denen bald Kräuter- und Blumensamen sprießen werden. Alles hergestellt von FünftklässlerInnen der Kreuzberger Fichtelgebirge-Grundschule – unter der Anleitung von Friedrichshainer OberschülerInnen. Die Ellen-Key-Sekundarschule lädt regelmäßig GrundschülerInnen ein: damit diese die nächste Schulform, die sie bald erwartet, kennenlernen können und die Scheu vor dem Schulwechsel verlieren. Doch auch für die OberschülerInnen der Werkpädagogischen Klasse (WPK), die die GrundschülerInnen betreut, sind die Besuche wertvoll.

In der WPK versammelt die Ellen-Key-Schule Neunt- und ZehntklässlerInnen, die beim überwiegend theoretischen Lernen im klassischen Regelunterricht „nicht so viel Erfolg haben“, wie Schulleiter Jörg-Michael Rietz vorsichtig formuliert. Es ist ihm wichtig, dass die SchülerInnen der Spezialklasse, die neben zweieinhalb Tagen Regelunterricht ebenso viel praktisches Lernen im Stundenplan haben, sich nicht als aus dem „normalen“ Schulbetrieb ausgesondert und aufs Abstellgleis geschoben betrachten – und auch nicht von anderen SchülerInnen so gesehen werden.

Die Ellen-Key-Schule gehört zu den Sekundarschulen, die die Idee der heterogenen Schülerschaft, wie sie die Schulstrukturreform aus dem Jahr 2010 mit der Zusammenlegung von Haupt-, Real- und Gesamtschulen erreichen wollte, ernst nehmen. Neben der Werkpädagogischen Klasse bietet sie auch das Abitur an – wahlweise nach 12 oder 13 Schuljahren, mit mehreren Fremdsprachen und demnächst auch einem bilingualen Zweig. Ein breites Angebot – und keine leichte Aufgabe, den respektvollen Umgang aller miteinander im Schulalltag hinzubekommen.

Genau deshalb sind es die WPK-SchülerInnen, die die regelmäßig stattfindenden Besuche von den fünf Partnergrundschulen der Ellen-Key-Schule managen – eine „echte Herausforderung“ für die 15- bis 16-Jährigen, wie Ute Brödnow sagt. Die Sozialarbeiterin ist ausschließlich für die 26 WPK-SchülerInnen da. „Sie berät uns“, sagt Fatih, der in der Holzwerkstatt der Schule mit den FünftklässlerInnen Vogelhäuschen baut. „Ja, und sie ruft bei uns zu Hause an, wenn wir mal nicht pünktlich kommen“, ergänzt ein Mitschüler – seine vermeintliche Genervtheit ist merklich gespielt. Die WPK soll eine Alternative für diejenigen sein, die sich vom Regelunterricht ausklinken. Die engen Beziehungen zu Sozialarbeiterin, Klassenlehrer und den Werkpädagogen in den vier Arbeitsbereichen der Praxisklasse sind es, die die Jugendlichen wieder mit dem Prinzip Schule versöhnen.

„Du bist uns nicht egal“ – das sei die zentrale Botschaft, die den SchülerInnen der WPK vermittelt werde, sagt Brödnow. Die Betreuung der GrundschülerInnen sei ein Teil davon, denn mit ihr übernehmen die WPK-SchülerInnen große Verantwortung. Sie bereiten Referate vor, um den GrundschülerInnen Einblicke in die vier Praxisbereiche Küche, Holz- und Malerwerkstatt und Gartenarbeit zu verschaffen, betreuen die Jüngeren dann bei der praktischen Arbeit und sind dafür verantwortlich, welchen Eindruck die Kleineren von der Oberschule mitnehmen.

Am Ende des Besuchs der Fünftklässler von der Kreuzberger Fichtelgebirge-Grundschule sind alle zufrieden – und müde. In der Küche haben Kleine und Große Sellerieschnitzel, Chicoreeschiffchen und Bratäpfel hergestellt, die nun an einer langen und professionell eingedeckten Tafel gemeinsam verzehrt werden. Es sei anders gewesen, als sie erwartet hatte, sagt eine FünftklässlerIn: „Besser – weil wir selbst was machen konnten! Ich dachte, wir bekommen hier nur Flyer in die Hand gedrückt oder so.“

Thema: Wintergemüse

Auch WPK-Schüler Sascha* ist zufrieden. Als er am Anfang des Tages sein Referat – Thema: Wintergemüse – vor den Kleinen hielt, wirkte er noch unsicher. Immer wieder glitt sein Blick zur Lehrerin, die BesucherInnen anzusehen fiel dem 15-Jährigen schwer. Nun lehnt er an der Wand zur Küche und sieht den Kleinen beim Essen zu. Ihnen etwas beibringen zu können hat seine Unsicherheit vertrieben. Sascha ist auf eigenen Wunsch in die WPK gekommen. Die bessere Betreuung dort, hofft er, werde ihm zu besseren Noten verhelfen – und dazu, dass er am Ende einen Schulabschluss schafft.

Und auch für die Ellen-Key-Schule selbst scheint das Konzept der Heterogenität ein Erfolg zu sein. Die Schule hat für das kommende Schuljahr mehr BewerberInnen für die 7. Klassen, als sie aufnehmen kann.

* Name geändert