: Alle Zweifel weggeklampft
Gerade noch mal gut gegangen: Nach müdem Zirkus und bildungshubernden Musikanleihen spielten die Dresden Dolls im Kesselhaus eine gute Schau zwischen Cabaret, Brecht und Neogothic
von RENÉ HAMANN
Was macht der mondäne Goth am Sonntagabend? Er geht zum Konzert. Die Dresden Dolls waren in der Stadt, also haben sich alle recht schick gemacht, um in das imposante Kesselhaus in der Kulturbrauerei zu strömen. Wohlriechende junge Männer und Frauen, wahre Parfümschleudern, ehrgeizige Schauspielschüler und wilde Kauffrauen in Ausbildung: Alle wollten nur das eine. Amanda Palmer und Brian Viglione (schon diese Namen!) nackt sehen. Um es vorwegzunehmen: Dazu kam es nicht. Zwar flogen Kleidungsstücke, der eigentliche Strip aber fand vor dem Konzert statt.
Die Dresden Dolls hatten einen ganzen Zirkus mitgebracht, um das Publikum bei Laune zu halten: Ein Magier trat auf und präsentierte einen läppischen Zaubertrick, dann kam eine Dame mit schwarzen Flügeln und begann, sich obenrum auszuziehen. Strip abgehakt. Jetzt konnte das Konzert beginnen.
Vielleicht sollte das Ganze davon ablenken, dass der Auftritt eines Duos, das an seine Instrumente gebunden sind, nicht spektakulär ist. Der Lidschatten eines Zweifels legte sich über manche Augen. Das sollte die große Show sein? Eine auf dem E-Piano klimpernde Amanda Palmer, die ab und zu den Mund offen stehen ließ und ein Bein aufs Brett hob, um Ekstase und Bewegung vorzutäuschen? Und der brusthaarfreie Brian Viglione hinter seinem Monsterschlagzeug, das er wie ein guter Heavy-Metal-Drummer bearbeitete?
Schon die Vorband war grauenhaft gewesen – zwei Herren, die mal bei den Legendary Pink Dots oder so gewesen sein mussten, der Sänger in schwarzer Toga, rotem Schal, und eine Musik, die man aus den Achtzigerjahren zu gut erinnerte. Die Dresden Dolls schienen dann auch nicht mehr als eine bildungshubernde Neo-Goth-Band zu sein, eine Mischung aus Cabaret und Siouxsie & the Banshees, die schwarze Version der White Stripes. Immer mit dem gleichen E-Piano-Sound und einem Hang zum dramatischen Powerakkord. Ihre ersten drei Stücke, lang genug waren sie, langweilten jedenfalls.
Dann aber kam ihr Hit, „Coin Operated Boy“. Alle freuten sich, alle hatten darauf gewartet, in Reisebüros und auf Amtsfluren, in der Berufsschule und in den Nachtcafés der City West. Jetzt sangen alle mit. Es war der zündende Moment – Palmer und Viglione, die vorher müde gewirkt hatten, lebten auf, dehnten das Stück aus, zelebrierten es. Steigerungen und Breaks bis zur Katharsis.
Was folgte, war eine unwahrscheinliche Folge von großartigen Coverversionen, natürlich auch von Brecht/Weill-Stücken, was immer etwas nervt, inzwischen aber okay ging. Für „Port of Amsterdam“ verließen die beiden sogar ihre Plätze, Palmer stiefelte singend über die Bühne, Viglione hatte sich eine kleidsame Klampfe umgehängt. Es schien so, als ob sich ein altes, mithin deutsches Verständnis von „Schau“ entwickelte – oben die Bretter, die die Welt bedeuteten, unten das Publikum, das aufs Beste zu unterhalten war. Gutes Cabaret.
Der Konzert-Verfremdungseffekt bestand darin, dass die Dresden Dolls kaum noch weiterspielen mochten. Stattdessen präsentierte Palmer ihr inzwischen gut entwickeltes Deutsch. Auch die körperliche Ebene wurde angenehm zurückgenommen. Von der Sex-Überdosis, wie sie in ihrer fulminanten Fotostrecke in Spex zu sehen war, war nicht mehr viel zu spüren. Was blieb, war Normalität: Die Normalität einer angeschminkten Frau, die zwar Werbung für die Rückkehr weiblicher Körperbehaarung macht (Achseln und Beine), aber keine abgefeimte Erotikmonsterperformance. Mag man ja auch nicht mehr sehen, so was. Und die Normalität eines jungen Mannes, der mit dieser Frau lebt, liebt und arbeitet, und dessen schlagwerkende Präsenz nichts mit Rammstein zu tun hat.
Ist alles noch mal gut gegangen also. Am Ende gab es zwei Zugaben. Der Mann mit der Toga kam für ein Duett und schlenderte sinister über die Bühne, den VIPs auf der Empore wurde kräftig gewunken, das fordernde Auditorium bekam eine Version von „Eisbär“, die schön brachial war. Nach einer letzten eigenen Nummer öffneten sich die Tore, draußen wartete die herausgeputzte Stadt rund um die Kulturbrauerei, die geparkten Autos, die Bahnen in die Vorstädte und in die schäbigen Viertel im Westen.