: Koenigs: Aufstand in Südafghanistan
Der UN-Sondergesandte Tom Koenigs ist für einen Bundeswehreinsatz im gefährlichen Süden Afghanistans, denn es geht um die Glaubwürdigkeit der Nato als Friedenstruppe. Neuer Selbstmordanschlag in Kabul und wieder viele Tote bei Kämpfen
VON SVEN HANSEN
Der deutsche UN-Sondergesandte für Afghanistan, der Grünen-Politiker Tom Koenigs, hat die internationale Gemeinschaft zu stärkerem Engagement in Afghanistan aufgefordert. Auch müsse ein Einsatz der Bundeswehr innerhalb der Nato-geführten Isaf-Friedenstruppe im gefährlichen Süden Afghanistans möglich sein, forderte Koenigs am Sonntagabend bei einer Afghanistan-Veranstaltung der Grünen-nahen Heinrich Böll Stiftung in Berlin. „In Afghanistan steht die Nato als friedenserhaltende Kraft auf dem Spiel“, sagte er.
Die Zahl von 40.000 internationalen Soldaten, davon knapp die Hälfte von der Nato, sei nicht ausreichend. Er kritisierte, dass zahlreiche einzelstaatliche Sonderregelungen der Nato erschwerten, ihre Truppen flexibel einzusetzen. Sie sollten dort stärker „als Ganzes“ auftreten und zeigen, dass ihre Soldaten keine „Papiertiger“ seien. Der bisherige Bombenkrieg der Amerikaner sei zum Teil kontraproduktiv.
Die rund 2.800 Isaf-Soldaten der Bundeswehr werden bisher nur im relativ ruhigen Norden und in der Hauptstadt Kabul eingesetzt. Die Bundesregierung lehnt eine dauerhafte Verlegung der Truppen in den Süden ab. Dort sind vor allem Briten, Kanadier und Niederländer aktiv und haben fast täglich Verluste. Der Bundestag muss bis 13. Oktober über eine Verlängerung des Bundeswehrmandats entscheiden.
Die Situation im Süden bezeichnete Koenigs als regelrechten „Aufstand“ und sei bis zum Frühjahr völlig falsch eingeschätzt worden. Es sei aber wenig hilfreich, jetzt dort nur von „Terroristen“ zu sprechen. Vielmehr gebe es fünf verschiedene Typen oppositioneller bewaffneter Kämpfer. Von denen seien die meisten mit politischen Maßnahmen integrierbar.
In der Südprovinz Kandahar starben bei einer Offensive der Isaf am Sonntag mindestens 200 mutmaßliche Taliban-Kämpfer. Auch vier Nato-Soldaten starben. Gestern gab es wieder Tote. Ein britischer Soldat und vier Afghanen starben bei einem Selbstmordanschlag auf einen Militärkonvoi in Kabul. In der Provinz Kandahar starb ein kanadischer Soldat bei einem irrtümlichen Beschuss durch Nato-Jets. In der Südprovinz Helmand starben mindestens 20 Menschen bei Kämpfen, darunter 16 mutmaßliche Taliban.
Koenigs, der seit Mitte Februar der Sondergesandte von UN-Generalsekretär Kofi Annan in Kabul ist und vorher schon unter anderem UN-Verwalter im Kosovo war, räumte auch Versäumnisse der internationalen Gemeinschaft ein. So erfolge der Aufbau der afghanischen Polizei und Armee viel zu langsam. Die Polizeiausbildung, für die Deutschland verantwortlich ist, sei zudem zu stark auf Anforderungen ausgerichtet, die in Deutschland üblich seien, und zu wenig der Kriegssituation vor Ort angepasst. Dies könne Deutschland nicht leisten. Auch der Aufbau der Infrastruktur sei zu langsam: „Wenn wir in dem Tempo wie bisher weiter aufbauen, haben wir in zehn Jahren nur zehn Prozent der Zerstörungen von 26 Jahren Krieg beseitigt.“
Nötig für eine Lösung des Konflikts seien politische Maßnahmen wie eine regionale Sicherheitslösung, die auch gleichartige Probleme in Pakistan angehe. Laut Koenigs gibt es ein nahezu unerschöpfliches Potenzial an grenzüberschreitenden jungen Männern, die an pakistanischen Koranschulen radikalisiert und dann von den Islamisten als Kanonenfutter in den Kampf nach Afghanistan geschickt würden. Um dieses Problem zu lösen, bräuchte Afghanistan eigene Koranschulen, die im Unterschied zu denen in Pakistan ein staatlich kontrolliertes Curriculum hätten.