Eine Art Heiliger

LESUNG Viel Willen zum Einverständnis: Liao Yiwu, endlich in Deutschland, auf dem Literaturfest Berlin

VON SUSANNE MESSMER

Endlich ist er da. Man kann gar nicht anders als aufgekratzt sein bei der Lesung Liao Yiwus im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Zehnmal hat der chinesische Autor seinen Reisepass beantragt. Fünfzehnmal ist er, als er ihn endlich bekam, von den Behörden an der Ausreise gehindert worden – zuletzt Anfang des Jahres, als er zur Lit.Cologne eingeladen war, und zur Frankfurter Buchmesse im Herbst 2009, als sein ebenso erschütterndes wie erheiterndes Buch „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“ in Deutschland erschien.

Viele Jahre hat Liao Yiwu für die Gesprächsprotokolle dieses Buches Menschen in seiner Heimatprovinz Sichuan befragt; und weil er selbst vier Jahre eingesperrt war, nachdem er 1989 über die Demokratiebewegung gesagt und gedichtet hatte, was er dachte, fanden einige Gespräche im Gefängnis statt. Man muss nur mal in sein lebenspralles Buch hineingelesen haben, in dem „Menschen vom Bodensatz der Gesellschaft“, Prostituierte, Klomänner und bitterarme Bauern, voll Wut und Witz über die andere Seite Chinas sprechen, um bei dieser Lesung mit einer Atmosphäre zurechtkommen zu müssen, die das Gegenteil dessen ausstrahlt, worauf man sich gefreut hat.

Ein Gong wird geschlagen

Mehr als 200 Leser sind gekommen, davon gefühlte 10 Prozent Chinesen und 90 Prozent Bildungsbürger, oft schon weißhaarig, meist von der Sorte, die bei Lesungen gern die Augen schließt und alles andere als aufgeregt wirkt oder auch nur neugierig. Diese Leute wollen sich einverstanden fühlen mit einem politischen Dissidenten – Fragen zu einem Buch, das einen buchstäblich vom Stuhl reißt, die werden sie bis zum Ende nicht äußern. Zu Beginn wird ein Gong geschlagen. Ein mönchisch wirkender Dichter mit kahlem Haupt und in hellem Leinen betritt die Bühne. Er bringt zunächst einmal seine buddhistische Klangschale zum Brummen. Ähnlich weihevoll geht es weiter.

Der Moderator – Hans Christoph Buch in anderen Zusammenhängen in allen Ehren – führt den Autor als eine Art Heiligen ein, der sich auf Augenhöhe mit Maxim Gorki und Günter Wallraff den Beleidigten und Erniedrigten dieser weiten Welt widmet. Von einem Essay ist die Rede, in dem Liao Yiwu seine Lehrer Hunger, Schande, Gefängnis und Obdachlosigkeit nennt – und von den ebenso obdachlosen hundert Millionen chinesischen Wanderarbeitern, als würden diese versammelt in den Bahnhöfen und unter den Brücken von Chinas Großstädten leben, was das Problem nicht gerade punktgenau beschreibt. Dazu die sonore Profistimme von Sprecher Frank Arnold, der anschließend ein eher märchenhaft weltfremdes Kapitel aus Liaos Buch vorträgt … Man käme nie auf die Idee, was „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“ für ein Buch ist, hätte man es nicht gelesen.

Man würde auch nicht auf die Idee kommen, was für ein Autor Liao Yiwu ist, wäre man nicht gewarnt. Und würde man nicht auf die humorvollen Zwischentöne lauern, die trotz Übersetzungsverlusten hin und wieder durch- und quer schlagen. Einmal, da äußert sich Liao Yiwu zum Beispiel zu seinem Gefängnisaufenthalt. Der habe auch etwas Gutes gehabt, meint er. Denn so sei er schließlich der geworden, der er ist. Und nicht einer von denen, fügt er mit großem Schalk in den Augen an, die letztes Jahr zur Frankfurter Buchmesse reisen durften. Ein andermal spricht Liao Yiwu von seiner Angst. Nein, er habe keine Angst, zurückzukehren. Und dann erzählt er vom chinesischen Historiker Sima Qian, der vor mehr als 2.000 Jahren für seine Liebe zur Wahrheit mit Kastration bestraft wurde. „Noch bin ich ein ganzer Mann, ich bin stark und gesund. Wovor sollte ich Angst haben?“, lacht er seinen Moderator an, der es wissen wollte, das mit der Angst.

Liao Yiwu, dessen Autobiografie übrigens nächstes Jahr in deutscher Übersetzung erscheint, wird dank eines Stipendiums noch ein paar Wochen in Deutschland bleiben, und auch im Rahmen des Berliner Literaturfestivals wird er wohl noch ein paarmal auftreten. Es besteht also Grund zur Hoffnung, dass sich für diesen großartigen chinesischen Schriftsteller andere, beschwingtere Gelegenheiten ergeben werden, seinen deutschen Lesern zu begegnen.