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Archiv-Artikel

Schule der Täuschung

Schmatzen, Rülpsen, Stinken: Eine komische Figur sollte mindestens drei Fehler haben. Das lernt man im Wochenendseminar Comedy an einer privaten Filmakademie im Prenzlauer Berg. Und erfährt, weshalb schon wieder Mama vor der Tür steht

VON LENA HACH

„Das gehört schon zum Seminar“, vermutet ein Teilnehmer, als es Kursleiter Christian Eisert nicht gelingen will, seine Präsentation an die Wand zu projizieren. Der Kommentar bricht die Stille im Raum, eine Stille, die scheinbar immer herrscht, wenn unbekannte Leute zusammentreffen, ob nun im Fahrstuhl oder im Wartezimmer des Arztes. Das ist auch nicht anders, wenn man sich zusammen für ein Comedy-Seminar angemeldet hat. Aber Eisert lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Immerhin ist er ein erfahrener Comedy-Autor, schreibt für die Sendungen „Was guckst du“ und „FreitagNachtNews“. Sein Bezug zur Praxis füllt die Theorie, die im Mittelpunkt des Wochenendseminars an der privaten Filmakademie Berlin steht, mit aktuellen Beispielen aus der Medienwelt.

Bunt ist vor allem die Mischung an Teilnehmern: Neben einem Anwalt und einem Architekten ist auch eine Schauspielerin dabei, Sabina. Sie möchte sich mit dem Schreiben ein zweites Standbein aufbauen. Die Teilnahme an dem Comedy-Workshop ergänzt ihren Besuch der Drehbuchschule von Wolfgang Pfeiffer, der auch die Comedy Akademie gegründet hat. Der mit 22 Jahren jüngste Teilnehmer Christian ist extra aus Neumünster angereist. Er hat bereits ein Seminar der Comedy Academy Köln besucht, welche die einzig vergleichbare Ausbildung in Deutschland anbietet. Christian, der auf Helge Schneider und Mirko Nontschew steht, möchte irgendwann selbst als Comedian ein Publikum erobern.

Eisert ist es wichtig, dass der Kurs sich nicht nur an Bühnenmenschen richtet: „Letztendlich ist der Kurs für Menschen, die wissen wollen, wie sie andere zum Lachen bringen.“ Da Lachen nachweisbar eine positive psychische und physische Wirkung auf den Menschen hat, kommt Eisert zu dem Schluss: „ Comedy tut der Menschheit Gutes. Wir sind Heilsbringer.“ Aber er ist sich auch der Grenzen von Comedy bewusst: „Wir setzen nichts in Bewegung außer das Zwerchfells.“

Doch kann man Witzigsein wirklich lernen? Eisert ist überzeugt, dass jeder zumindest mit den Mitteln der Komik vertraut werden kann. Ein paar davon hat er in der Liste „12 Comedy Tools“ zusammengestellt. Zu diesen Werkzeugen gehört zum Beispiel der Tür-Klingel-Effekt: Man nehme zwei Freunde, die gemeinsam auf dem Sofa sitzen. Der eine erzählt in freudvoller Erwartung, dass seine Freundin ihn gleich besuchen wird. Es klingelt, er eilt zur Tür und vor ihm steht: seine Mutter. Der Gag funktioniert, da die Erwartung der Zuschauer gebrochen wird.

Comedy-Autoren sind laut Eisert professionelle Täuscher. Und zudem gut verdienende: Gagschreiben zählt als Königsdisziplin unter den TV-Autoren; hinter Leuten wie Stefan Raab steht eine ganze Reihe von Gags produzierenden, viel zitierten „kreativen Köpfen“.

Auf die häufige Frage, wie er es schaffe, sich immer neue witzige Dinge einfallen zu lassen, ist Eiserts Antwort: „Auf Einfälle ist kein Verlass. Comedy ist Handwerk, es ist wie Kochen nach Rezept.“ Eines dieser Rezepte ist die 9er-Regel. Diese besagt schlicht und einfach: Neun von zehn Ideen sind Schrott. Das beweist eine praktische Übung. Die Teilnehmer sollen sich zehn Bildunterschriften zu einer Fotografie einfallen lassen, auf der zwei missmutige, schnurrbärtige Gestalten vor einer jubelnden Menschenmasse zu sehen sind. Nach minutenlangem Schreiben werden die Ergebnisse vorgelesen: Neben obligatorischen Merkel-Witzen gibt es zahlreiche Fußballreferenzen und Sprüche über den Style der 80er, auch ein wenig Fäkalhumor ist dabei. Viele Untertitel sind nur mäßig lustig. Aber bei jedem Teilnehmer wurde mindestens einmal gelacht: Ganz entsprechend der 9er-Regel.

Für alle Formen der Comedy gibt es handbuchähnliche Richtlinien. So sollten in einer komischen Figur (z. B. Hausmeister Krause) mindestens drei Fehler angelegt werden. (Eisert: „Das kann richtig böse sein: Schmatzen, Rülpsen, Stinken.“) Trotzdem sollte die Figur auch menschlich sein; Tiere, Blumen oder zumindest ein kühles Pils mögen. All diese im Einführungsworkshop gelernten Gesetze können in einem Praxisseminar anschließend vertieft werden.

Kann man Comedy eigentlich noch zur puren Unterhaltung schauen, wenn man die Prinzipien dahinter kennt? „Es macht am Anfang eine Menge kaputt“, gibt Eisert zu. „Doch irgendwann entwickelt man eine neue Freude. Nämlich wenn man sieht, dass komische Mittel gut eingesetzt sind und man denkt: Das war aber gut gebaut.“ Wohl hauptsächlich, wenn man eigene Gags in einer Sendung entdeckt.

Für alle, die es wissen wollen: Die Fotografie zeigte Zuschauer des von der FDJ organisierten Bruce-Springsteen-Konzerts in Weißensee im Jahr 1988.

Informationen unter www.filmakademie-berlin.de