: Linke Politik nicht mehr utopisch
Vier Parteien – ein Programm? Auf einer taz-Veranstaltung stritten SPD, Linkspartei, Grüne und WASG darüber, was linke Politik in Berlin ist. Dabei kam man sich in vielen Punkten erstaunlich nahe
VON FELIX LEE
Irgendwie hat linke Politik ja auch mit Utopien zu tun. Doch davon war bei der taz-Veranstaltung „Wer ist links“ am Montagabend im Hebbel-Theater wenig zu spüren. Die Schlussfrage an die drei Fraktionschefs der linken Parteien im Abgeordnetenhaus sowie an Lucy Redler, der Spitzenkandidatin der WASG, lautete: „Angenommen das Bundesverfassungsgericht beschließt, dass Berlin schuldenfrei ist, und Ihre Partei verfügt über eine absolute Mehrheit – was würden Sie tun?“ Eine Steilvorlage für den großen Wurf.
Kostenlose Kita bis zum sechsten Lebensjahr und 100.000 Studienplätze, antwortete Stefan Liebich (Linkspartei). Michael Müller (SPD) stimmte ihm vorbehaltlos zu. Und Volker Ratzmann (Grüne) würde zusätzlich eine „vernünftige Entlohnungsstruktur im öffentlichen Dienst“ umsetzen. Nur Lucy Redler formulierte eine Vision, die einer linken Utopie nahe kommt: die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe. Zur Nachfrage des Moderators, ob dies über Kauf oder Enteignung geschehen soll, antwortete Redler: Wenn die WASG mehr als 50 Prozent im Abgeordnetenhaus hätte, gäbe es in Berlin eine Situation, in der sich diese Frage gar nicht stellen würde. Das Wort Enteignung kam ihr nicht über die Lippen.
Fünf Jahre rot-roter Senat sind eine Zeitpunkt, Bilanz zu ziehen. Die drei bereits im Abgeordnetenhaus vertretenen linken Parteien hätten aktuellen Umfragen zufolge eine Zweidrittelmehrheit und könnten zusammen die Landesverfassung ändern. Nun schafft eventuell eine vierte linke Partei den Einzug. Doch wenn alle vier links sind – wie unterscheiden sie sich dann noch? Der Gesamteindruck am Ende der anderthalbstündigen taz-Diskussion: Ging es um konkrete Lösungsvorschläge für drängende Probleme, sind sich die vier erstaunlich einig.
Zwar wetterte Lucy Redler, dass ihre WASG die einzige Partei sei, die sich der laufenden Politik der Haushaltskonsolidierung nicht unterwerfen würde. Und auch beim Verkauf landeseigener Wohnungen zeigte sie sich kompromisslos – anders als die anderen Parteienvertreter auf dem Podium. Wer allerdings massive Gegenwehr bei ihren Kontrahenten erwartet hatte, wurde enttäuscht. Selbst Michael Müller von der SPD gestand ein, dass die Privatisierung von 50 Prozent der Wasserbetriebe ein „grauenvoller Fehler“ gewesen sei. Mitte der 90er-Jahre habe die SPD gedacht, mit dem Verkauf zu einem Milliardenbetrag könne der finanzpolitische Spielraum der Stadt vergrößert werden, rechtfertigte er sich. „Aus einem staatlichem Monopol kann man jedoch kein privates Monopol machen.“ Das müsse in einer „Katastrophe“ enden.
Der große Unterschied der WASG zu den anderen Parteien zeigte sich vor allem an einem Punkt: die Bereitschaft zur Regierungsverantwortung. Denn die strebt die neue Formation gar nicht an. Das Entscheidende für die Linke sei die „Mobilisierung von Gegenwehr“ und außerparlamentarische Initiativen zu stärken, so Redler. „Es geht nicht nur um parlamentarische Opposition, sondern darum, generell etwas zu verändern“, rief sie den rund 300 Zuhörern entgegen.
Erwartungsgemäß heftig schossen sich die anderen drei Podiumsteilnehmer auf die Linksaußen-Vertreterin ein. Eine Partei, die bei Wahlen antritt, müsse den Anspruch haben, Regierungsverantwortung zu übernehmen, empörte sich Müller. Stefan Liebich nutzte die Gelegenheit zur Generalabrechnung. „Die WASG plakatiert: Nicht mit uns. Wir plakatieren: Berlin bewegt.“ Ihm sei es tausendmal lieber, den Betroffenen konkret helfen zu können, als dieses „Nicht-mit-uns-Gerede“ der WASG.
Dies wollte Redler wiederum nicht auf sich sitzen lassen. „Wir reden nicht nur gegen Wohnungsprivatisierung, wir machen auch was dagegen.“ Sie verwies auf die Unterschriftenkampagnen und die Solidaritätsbesuche bei betroffenen MieterInnen. Und überhaupt: Gleich zu Beginn der Veranstaltung zeigte sie sich verwundert, warum sie zur Frage „Wer ist links?“ überhaupt mit Grünen und SPD auf einem Podium sitze. Genau diese Zerstrittenheit – vielleicht macht auch das „linke Politik“ in dieser Stadt aus.