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Archiv-Artikel

Gilad Schalit darf auf Freiheit hoffen

Trotz aller Dementis wird ein Geiselaustausch immer wahrscheinlicher: Israel will angeblich 800 inhaftierte Palästinenser im Gegenzug für den verschleppten Soldaten Schalit freilassen. UN-Generalsekretär Kofi Annan will im Libanon vermitteln

Nach der Freilassung Schalits will Israel wieder Kontakte zu Palästina knüpfen

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Gleich von drei Seiten werden die Berichte abgestritten, dass sich der vor zehn Wochen entführte israelische Soldat Gilad Schalit inzwischen in Ägypten befindet. Der in London erscheinenden Zeitung al-Hayat zufolge ist Schalit bereits vor einigen Tagen aus dem Gaza-Streifen über die Grenze gebracht worden, um einen Geiselaustausch möglich zu machen. „Mir ist davon nichts bekannt“, kommentierte allerdings der palästinensische Premierminister Ismail Hanijeh die Meldung. Der zwischen Israel und den Entführern vermittelnde Chef des ägyptischen Geheimdienstes Omar Suleiman wies den Zeitungsbericht ebenso zurück wie die Regierung in Jerusalem. Allerdings fänden, so zitierte die israelische Tageszeitung Jediot Ahronot hohe Regierungsbeamte, „intensive Verhandlungen“ statt.

Schalit war Ende Juni im Grenzbereich zum Gaza-Streifen entführt worden. Die Geiselnehmer, die drei verschiedenen Gruppen, darunter der Hamas, angehören, hatten sich mit Hilfe eines Tunnels den Weg nach Israel gebahnt. Dem Bericht der Londoner Zeitung zufolge soll Schalit im Gegenzug für die Entlassung von insgesamt 800 palästinensischen Inhaftierten auf freien Fuß kommen. Das wären fast doppelt so viele, wie die Entführer gleich zu Beginn der Geiselaffäre gefordert hatten. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bestätige gestern, dass eine Einigung über den Geiselaustausch erreicht worden sei.

Den Berichten zufolge sollen die Palästinenser in drei Schüben von zweimal je 300 und einmal 200 Häftlingen entlassen werden, die letzte Gruppe bis Ende des Jahres. Israel hält offenbar an seiner Weigerung fest, Häftlinge „mit Blut an den Händen“, so der Terminus für Palästinenser, die an gewalttätigen Attentaten beteiligt waren, zu entlassen. Die Entführer hatten zunächst nur die Amnestie aller Minderjährigen und aller Frauen gefordert. Die sich jetzt abzeichnende Gruppe umfasst auch die Inhaftierten, die länger als 20 Jahre hinter Gittern sitzen.

Unmittelbar nach der Entlassung Schalits soll die Waffenruhe wiederaufgenommen werden, zu der sich die Hamas Anfang vergangenen Jahres verpflichtet hatte. Für Israel bedeutet das vor allem, die gezielten Hinrichtungen militanter Extremisten, Invasionen und Verhaftungen einzustellen. Der israelische Vize-Premierminister Schimon Peres kündigte gestern zudem an, dass, sobald die Geiselaffäre beigelegt sei, Ministerpräsident Ehud Olmert Gespräche mit dem Palästinenserpräsidenten aufnehmen werde.

Es wäre das erste Treffen zwischen den beiden Politikern seit den Wahlen, die Olmert mit dem erklärten Ziel, den einseitigen Abzug voranzutreiben, für sich entschied. Die Entführung Schalits und zwei weiterer Soldaten, die in den Libanon verschleppt wurden, hatten seinem politischen Programm den Todesstoß versetzt. Offenbar besinnt sich der Premierminister deshalb wieder auf die „Roadmap“, den internationalen Friedensplan, den Abbas zusammen mit Olmerts Amtsvorgänger Ariel Scharon unterzeichnet hatte.

Olmert hatte sich wiederholt gegen einen Tauschhandel der Geisel und „Verhandlungen mit Terroristen“ ausgesprochen. Anfang der Woche forderte er die Befreiung Schalits, noch bevor Israel palästinensische Häftlinge freigeben würde. Offenbar versucht Olmert, die bevorstehende Entlassung der 800 Palästinenser in den Rahmen der wiederaufgenommenen Friedensverhandlungen zu stellen. „Wir haben kein Interesse [Häftlinge zu entlassen], solange mit der Entführung Schalits Druck auf uns ausgeübt wird“, meinte Olmert.

Unterdessen macht sich UN-Generalsekretär Kofi Annan als Vermittler zwischen Israel und der libanischen Hisbollah stark, die seit Mitte Juli zwei israelische Soldaten in ihrer Gewalt hat. Annan will einen Sondervermittler benennen, den die Israelis wiederum als überflüssig empfinden. Die Position in Jerusalem ist, dass die beiden entführten Soldaten bedingungslos wieder auf freien Fuß kommen müssen, wie es die UN-Waffenstillstandsresolution vorschreibt.

Im israelischen Fernsehsender „10“ wurden gestern Abend die ersten Filmaufnahmen des vor 20 Jahren abgeschossenen Flugnavigators Ron Arad gezeigt. Bis heute ist sein Schicksal ungeklärt.