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Archiv-Artikel

Alles außer Alice

Familientreffen der linken Lockenschöpfe: In der Hamburger Fabrik spielte der ostdeutsche Protestmusiker Hans Eckardt Wenzel mit Woodstock-Legende Arlo Guthrie. Dessen Vater, die Songwriter-Ikone Woody Guthrie, hinterließ ein Lyrikwerk, aus dem Wenzel übersetzen und vertonen durfte

Den ostdeutschen Protestmusiker Hans Eckardt Wenzel und die Woodstock-Legende Arlo Guthrie verbindet mehr als ihre langen Lockenmähnen: beide agieren musikalisch linkslastig. Wie Oma schon sagte: „Krause Haare – krause Gedanken.“ Des einen Vater, die New Yorker Songwriter-Ikone Woody Guthrie, hinterließ ein Lyrikwerk, aus dem der andere übersetzen und vertonen durfte. Diese Ehre gebührte einst auch Billy Bragg, der zum Auftakt der Tour in Berlin mitspielte. Hüterin des Schatzes ist Nora, Arlos Schwester. Auf einem Woody- -Ehren-Konzert in Nashville planten sie diese Tour.

In Wenzel ist die Polit-Sozial-Wut nicht zu übersehen, aber auch Spaß an der Poesie. Bittere Schmähtexte und doppelbödigen Wort-Sticheleien windet er fast heraus, dreht sich mit dem Akkordeon auf der Bühne, weg vom Publikum, wirft einen Distel-Strauss. Beliebt machen will er sich nicht, Globalisierer und die Strandschickeria von Heringsdorf lieben ihn vermutlich so sehr wie die Freunde unserer Regierungspolitik.

Über die Ex-DDR lernen wir, dass er einst 800 Seiten Theodor Kramer per Hand abgeschrieben hatte, für seinen Magister; es gab keinen Kopierer. Er ist jetzt Spezialist im Werk des jüdisch-sozialdemokratischen Lyrikers, der Hitler im Exil überlebte und schrieb. Wie dieser auch „Nicht fürs Süße, nur fürs Scharfe und fürs Bittre bin ich da; schlag, ihr Leute, nicht die Harfe, spiel die Ziehharmonika.“ (T. Kramer). In seiner Kapelle aus Musikern der deutschen Chansonwelt, wie Ulla Meinecke-Bassist Ingo York, begleitete ihn auch Tochter Karla, anmutig wie eine Ballerina, aber mit kräftiger Dreigroschenoper-Stimme auf Keyboard und klingender Bierflasche durch den einstündigen ersten Teil des Abends. Zum Vorgeschmack auf den zweiten kamen Arlo und seine Schwester Nora auf die Bühne und sangen das Woody-Lied. „Ticky Tock/Every 100 years“.

Nach 40 Jahren Tourerfahrung hat der 59-jährige Arlo inzwischen noch mehr zu erzählen als die ellenlange Müllabfuhr-Geschichte aus „Alice’s Restaurant“. Charmant verband er Balladen, Lovesong, Spiritual, Instrumental und ein im Traum eingefallenes Lied durch Geschichten.Weniger beißend als augenzwinkernd kommentierte er die (US-)Politik. Seine Gitarre, Mundharmonika im Rauschebart und Piano ergänzten Pedalsteel/Mandoline-Man und sein Sohn am Keyboard, alle bauschhaarig. Das gleichaltrige Publikum in der halbvollen Fabrik schmolz bei „City of New Orleans“ dahin und entlockte ihm als Zugabe nicht „Alice’s Restaurant“, sondern „Good Night Irene“ von Leadbelly, den er schon mit zwei Jahren kennen lernte.IMKE STAATS