: Der Briefwechsel
Kein Thema ist Eltern wichtiger. Nirgendwo verbringen Kinder tagsüber mehr Zeit. Die Schule ist eine Institution, die Wissen vermittelt und über Erfolg oder Misserfolg mitentscheidet. Doch was denken SchülerInnen über Lehrer, Mitschüler, Lehrpläne, Reformen und Verbote. Was meinen Lehrer? An dieser Stelle erscheint in loser Folge ein Austausch zwischen Schülern und Lehrer. Ungeschminkt und unzensiert. Lust zu schreiben? bildung@taz.de
DIE FRAGE
Sind Streber wirklich so toll?
Bestimmt haben auch Sie ein paar Spitzenschüler, die Ihnen vor Unterrichtsbeginn noch einen Kaffee bringen und dann im Unterricht 110 Prozent geben. Das macht das Unterrichten sicher angenehm.
Ich selber zähle nicht dazu, dennoch gibt es solche Leute in meiner Klasse. Im schlimmsten Fall kann ein Lehrer nur noch mit diesen Schülern etwas anfangen. Sie geben immer die richtigen Antworten und dem Lehrer das Privileg, kaum noch etwas erklären zu müssen.
Oft hat das einen dauerhaften Einfluss auf den Unterricht. Dem Rest der Klasse, mitunter auch mir, schenkt der Lehrer kaum noch Beachtung und immer weniger Schüler melden sich. Wenn dann nur noch die Schüler rangenommen werden, die die richtige Antwort parat haben, entsteht wiederum der Eindruck, dass jeder dieses Thema verstanden hätte. Und weiter geht es im Schulstoff, obwohl viele nicht alles kapiert haben und mehr Erläuterungen brauchen.
Mir geht es dann so: Nach ein paar Wochen blicke ich gar nicht mehr durch und arbeite auch nicht mehr mit. Ich habe keine Ahnung vom Thema, da mir der Unterricht viel zu schnell geht und mein Lehrer mir nichts mehr erklären will. Auch wenn ich mich mal melden will, dann verwerfe ich den Gedanken doch wieder, da der Lehrer, verwöhnt von den guten Schülern, eine richtige Antwort erwarten würde, und vielleicht müsste ich ihn dann enttäuschen.
Ab diesem Punkt ist der Unterricht nicht mehr gut. Ich finde, der Lehrer sollte besser anfangen, die Hände der guten Schüler zu ignorieren, und die Schüler, die sich nicht melden, drannehmen. Dadurch erledigt er seinen Job sinnvoller.
Außerdem sollte ein Lehrer nicht gleich enttäuscht sein oder gar wütend werden, wenn man nicht richtig antwortet. Er könnte versuchen, seinen Unterricht entweder weniger streng oder weniger belastend zu gestalten, damit es darauf hinausläuft, dass sich mehr Schüler im Unterricht engagieren.
Damit noch mal meine Frage: Denken Sie, dass Streber wirklich einen guten Einfluss auf den Unterricht oder auch auf die Klasse haben?
Marie Rozoum, 14 Jahre, besucht die 9. Klasse eines Gymnasiums in Berlin
DIE ANTWORT
Frag doch mal die Streber!
Nein, mir hat noch nie ein Schüler einen Kaffee gebracht. Aber Schüler, die sehr viel wissen, die habe ich auch. Die Frage ist: Was ist überhaupt ein Streber? Oft werden sehr gute Schüler als Streber bezeichnet. Das ist natürlich Unsinn.
Wenn die Schüler, von denen du sprichst, dem Lehrer allerdings wirklich Kaffee bringen und nach jeder Stunde den Lehrer für seinen tollen Unterricht loben, dann haben wir es tatsächlich mit Strebern zu tun, die auch später an der Universität allen auf die Nerven gehen werden.
Es gibt übrigens auch überengagierte Lehrer, die einen ganz nervös machen. In dem von dir geschilderten Fall scheint das Problem jedoch nicht die Existenz von ein paar „Strebern“ zu sein; das Problem scheint eher zu sein, dass dein Lehrer die normal begabten Schüler schlicht vergessen hat. Aber deshalb aufzugeben und die Beteiligung komplett einzustellen? Das ist allerdings die – verzeih mir – dümmste Lösung.
Also: Frag doch mal die „Streber“ in der Pause, ob sie dir nicht vor dem Unterricht schnell etwas erklären können. Vielleicht erklären sie es ja erstens gut und zweitens gern. Noch wichtiger: Bittet den Lehrer um eine Wiederholungsstunde. Wenn ein Dutzend Schüler deine Ansichten teilt und ebenfalls die Lust am Unterricht verloren hat, dann habt ihr gemeinsam eine Stimme, die so laut ist, dass sie eigentlich nicht überhört werden kann. Die „Streber“ können ja an Gruppentischen helfen, das eine oder andere nachzuarbeiten. In diesem Fall könnte der Einfluss der „Streber“ auf den Unterricht und die Klassengemeinschaft sogar gewinnbringend sein. Ihr müsstet euch dann allerdings wirklich bemühen und euch bei den „Strebern“ bedanken – so könntet ihr die Stimmung in der Klasse positiv beeinflussen.
Wenn aber weder die „Streber“ noch die Lehrer eine solche Bitte akzeptieren, ist diese Allianz aus Strebern und einem (überforderten) Lehrer gewiss schädlich. Sowohl für den Unterricht als auch für die Klassengemeinschaft. Ich selbst war übrigens nie gut genug, um als Streber wahrgenommen zu werden.
Arne Ulbricht, 41 Jahre, unterrichtet an einem Berufskolleg in Nordrhein-Westfalen Französisch und Geschichte.