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Archiv-Artikel

Na Mahlzeit!

Bayerns Verbraucherminister Schnappauf verantwortet den dritten Fleischskandal. Nun soll er gehen

Die Münchner SoKo „Kühlhaus“ ist „einer Art Döner-Mafia“ auf der SpurSelbst CSU-Landtagsabgeordnete fordern schon Schnappaufs Rücktritt

AUS MÜNCHEN MAX HÄGLER

Es wird zusehends unappetitlicher. Gestern teilte die Polizei-Sonderkommission „Kühlhaus“ in München mit, sie sei in der Gammelfleisch-Affäre „einer Art Döner-Mafia“ auf der Spur. Die Ermittlungen stünden zwar erst am Anfang, aber es zeichne sich „ein unglaubliches Geflecht“ ab.

Erschwert werden die Nachforschungen durch den Selbstmord des mutmaßlichen Hauptdrahtziehers Georg Bruner. Der 74-jährige Fleischgroßhändler hat sich gestern Morgen gegen sieben Uhr in seinem Münchner Haus das Leben genommen, seine Frau fand ihn erhängt im Treppenhaus. In den letzten Tagen hatte Bruner, dem offenbar schon vor dem Bekanntwerden seines Gammelfleischlagers die Insolvenz drohte, gegenüber Familienmitgliedern seinen Freitod angekündigt. „Er sah sich nicht ganz gerecht behandelt“, sagte Josef Wilfling, Chef der SoKo, unter Verweis auf die mitunter reißerische Berichterstattung.

Seit Beginn der Ermittlungen haben die Beamten 180 Tonnen ungenießbares Fleisch – größtenteils Dönerspieße – in Bruners Kühlhäusern sichergestellt, übrigens auch 43 Tonnen verdorbenes Gemüse. „Es gab Umetikettierungen, Haltbarkeitsdaten wurden geschwärzt und überklebt“, berichtet Wilfling über das Unternehmen mit 16 Mitarbeitern. „Der Fairness halber muss man aber sagen: Nicht alles, was der 74-Jährige gelagert und ausgeliefert hat, war schlecht.“ Nach dem bisherigen Ermittlungsstand habe der Fleischhändler aber tonnenweise Dönerspieße kurz vor Ablauf des Haltbarkeitsdatums aufgekauft, jahrelang gelagert, aufgetaut, wieder eingefroren und bundesweit an fast 2.500 Kunden weiterverkauft. Hinzu kämen 50 weitere Abnehmer aus dem Ausland, etwa aus Österreich, Luxemburg und den Niederlanden. Bruner habe sein Fleisch weltweit, etwa in Thailand oder Brasilien, gekauft. „Er hat minderwertige Ware für teures Geld verkauft“, bilanziert der SoKo-Chef. Allerdings sei die Buchführung derart schlampig, dass Herkunft, Lagerung und Kunden wohl größtenteils nicht mehr feststellbar seien.

Angesichts der Ausmaße des Skandals gerät auch Werner Schnappauf, der bayerische CSU-Minister für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, unter immer stärkeren Druck. Nicht nur SPD und Grüne im Landtag fordern inzwischen seinen Rücktritt, auch einzelne Parteifreunde. Gegenüber der taz forderte der Landtagsabgeordnete Sebastian Freiherr von Rotenhan Konsequenzen, da sonst die Arbeit der Staatsregierung unglaubwürdig werde: „Der politische Anstand gebietet nach drei Fleischskandalen innerhalb eines Jahres den Rücktritt.“ Schnappauf sei zwar nicht persönlich schuld, er stehe aber in der Verantwortung.

380 Beamte kontrollieren bislang Bayerns Fleischbetriebe, sie werden im Bedarfsfall von Tierärzten und Wissenschaftlern unterstützt; koordiniert wird die Arbeit auf Landkreisebene. Ein System, das in Bayern allein im letzten Jahr mindestens dreimal versagt hat: Vor dem aktuellen Münchner Skandal gab es bereits Funde mit tonnenweise altem Fleisch in Deggendorf und Passau. Damals stritt Verbraucherminister Schnappauf jede Verantwortung ab: Es gebe Behördenfehler vor Ort, sein Haus dagegen habe stets „schnell und entschlossen“ gehandelt. Nach den Ekelfleischfunden in Deggendorf teilte Schnappaufs Ministerium am 14. Dezember 2005 mit, man habe alle 262 EU-zugelassenen Fleischbetriebe einer Sonderkontrolle unterzogen. Ergebnis: „Bayerns Metzgereien und Fleischbetriebe arbeiten ordentlich“, nirgendwo sei verdorbenes oder überlagertes Fleisch gefunden worden. Vier Wochen später geriet der Passauer Betrieb Berger-Wild in die Schlagzeilen.

Weil in Bayern nichts vorangeht, hat nun Bundeskanzlerin Angela Merkel die ganze unappetitliche Angelegenheit zur Chefsache erklärt. Die Tonnen verdorbenen Fleischs zeigten, dass gemeinsame Standards auf Bundesebene notwendig seien, sagte sie – „wir brauchen allgemeine, gleiche Standards“. Die Bundesregierung wolle zwar nicht die Kontrolle übernehmen, aber es gehe nicht an, dass jedes Land brisante Informationen für sich behalte und sich dann wundere, wenn es Verfehlungen gebe. Sie forderte die Länder auf, dem Verbraucherinformationsgesetz zuzustimmen, das bislang im Bundesrat festhängt.

Nach den Querelen der letzten Tage hat Schnappauf den Widerstand gegen mehr Bundeskompetenzen aufgegeben, aber mit Einschränkungen. „Wir wollen Qualitätsstandards“, erklärte er im Bayerischen Fernsehen. „Was wir nicht wollen, ist eine neue Bundesbehörde.“ Mehr Soll innerhalb der Länderverantwortung also, aber kein Muss auf Bundesebene – trotz der Berge verdorbenen Fleischs, die zeigen, dass die bisherigen Kontrollmechanismen nicht greifen.

Schnappauf steht mit dieser Haltung nicht allein da, auch sein NRW-Kollege Eckhard Uhlenberg (CDU) lehnt mehr Mitsprache des Bundes ab, ebenso der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD). Aber weil auch Schnappauf und seine Länderkollegen Aktionismus an den Tag legen müssen, fordern sie, wie übrigens auch der Bauernverband und die Bundes-SPD, strengere Gesetze vom Bund. Das wiederum lehnt Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) ab, mit dem Hinweis, man möge einfach gescheit kontrollieren und die Justiz solle den Strafrahmen voll ausnutzen. Schnappaufs Genosse Seehofer jedenfalls ist stinksauer – und macht auch keine weißblaue Ausnahme: Die Bundesländer, „auch Bayern“, blockierten effektive Kontrollen, klagte er kürzlich am Rande eines CSU-Kongresses. Heute ab 14 Uhr wird sich zeigen, ob man sich einigen kann. Dann treffen sich die Verbraucherminister von Bund und Ländern zum Krisengespräch.