: Samariter spielen nicht mehr mit
Weil er sich nicht in der Lage fühlt, ihre Integration in den Arbeitsmarkt zu gewährleisten, beschäftigt der Hamburger Arbeiter-Samariter-Bund keine Ein-Euro-Jobber mehr. Schuld sei der Senat mit seiner Wettbewerbsideologie
von SILKE BIGALKE
Sie erledigen Aufgaben, die ohne ihre billige Arbeitskraft nicht zu leisten wären. Durch sie entstehen Jobs, die es vorher nicht gab. Sie senken die Arbeitslosenzahlen, und das für gerade mal ein bis zwei Euro die Stunde. So wünschen es sich die Erfinder der Ein-Euro-Jobs. Dem Arbeitslosengeld-II-Empfänger, der so einen „Job“ annimmt, soll er den Weg zurück in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Es winken soziale Integration, Beratung und Weiterbildung. Das ist die Idee.
Dass das in der Praxis nicht so einfach ist, hat jüngst der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) in Hamburg schmerzlich zu spüren bekommen. Ende vergangener Woche hat er sich bis auf weiteres aus dem Projekt „Ein-Euro-Job“ zurückgezogen – als letzte Konsequenz. Der Grund: Der ASB bekommt kein Geld mehr, um die von ihm beschäftigten ALG-II-Empfänger auch angemessen zu betreuen.
Das liegt vor allem am System, nach dem die Arbeitslosen in Hamburg in Ein-Euro-Jobs vermittelt werden: Jedes Jahr bewerben sich verschiedene Träger neu bei der Wirtschaftsbehörde um den Auftrag, Ein-Euro-Jobber zu betreuen und die passende Aufgabe für sie zu finden. Dafür erhalten sie von der Behörde einen pauschale Betrag pro Teilnehmer, von dem sie dessen Beratung, Coaching und Bezahlung von eben ein bis zwei Euro leisten müssen. 50 Träger wurden Anfang Juli ausgewählt.
„In Hamburg ist es zu einem unsinnigen Wettbewerb der Bildungsanbieter gekommen“, stellt Knut Fleckenstein, Geschäftsführer des ASB, fest. Deswegen seien die Teilnehmerpauschalen so stark gesunken. Einer der 50 Träger, die Hamburger Arbeit (HAB), hat das den Kooperationsvertrag mit dem ASB gekostet. Der Vertrag sah vor, dass die HAB bis zu 50 Ein-Euro-Jobber für Hausmeistertätigkeiten, soziale Betreuung, Organisation oder Gartenarbeit an den ASB vermittelt. Um die ALG-II-Empfänger durch fachmännische Beratung und Betreuung besser in den Arbeitsalltag zu integrieren, bekam der ASB von der HAB monatlich 150 Euro Pro Teilnehmer. Von dem Geld stellte der ASB die Betreuerin Kirsten Barlach ein, die dafür sorgen sollte, dass die ALG-II-Empfänger in den ihnen zugedachten Jobs zurecht kamen.
Mit dieser Betreuung funktionierte im ASB die Idee von Ein-Euro-Jobs eine Weile. Von insgesamt 60 Teilnehmern, die die Maßnahme seit 2005 durchliefen, wurden neun vom ASB selbst übernommen, weitere 15 bekamen einen Arbeits-, Ausbildung oder Studienplatz. Diese Integration kann der ASB nach eigenen Angaben ohne die 150 Euro pro Teilnehmer nicht mehr leisten. Und den Bildungsträgern traut Kirsten Barlach die bisherige Betreuung nicht zu: Die Leute seien verunsichert aus deren Bildungsmaßnahmen zurückgekommen, sagt sie.
Als unzuverlässig kritisiert auch der DGB-Arbeitsmarktspezialist Ingo Kolf die Bildungsträger. Diese „haben sich oft eine goldene Nase an den Pauschalen verdient, ohne eine angemessene Leistung dafür zu bringen“, sagt er. Die Qualifizierung und Betreuung der ALG-II-Empfänger sollte besser kontrolliert werden. „Wir würden begrüßen, wenn ein Wettbewerb unter den Trägern für mehr Effizienz sorgt. Aber die Qualität darf dabei nicht sinken“, so Kolf. Bisher sei ein Wettbewerbssystem wie in Hamburg eher die Ausnahme.
Mehr Qualität bei der Betreuung wünscht sich ASB-Chef Fleckenstein auch von der Hartz-IV-Behörde (Arge) selbst. Deren Mitarbeiter seien für seine Ein-Euro-Jobber kaum erreichbar, eine Eingliederung finde nicht statt. Von den 50 Stellen, die der ASB zu vergeben hatte, seien durchschnittlich nur etwa 32 besetzt worden. Rund die Hälfte davon habe sich der ASB selbst durch Zeitungsannoncen gesucht. Auch Heike Baumann, Sprecherin des Trägers HAB, bestätigt: „Die Zuweisungen waren oft nicht so üppig, wie die Träger sich das gewünscht hätten.“ Sie schätzt, dass etwa 80 Prozent der 13.000 Ein-Euro-Jobs in Hamburg besetzt sind.
Die Arge betreut in Hamburg rund 145.000 ALG-II-Empfänger, die als erwerbsfähige Hilfebedürftige gelten. Arge-Sprecher René Tollkühn weist die Kritik an den rund 1.600 Mitarbeitern energisch zurück. „Sie haben natürlich immer viel zu tun. Aber deswegen kann keine Rede davon sein, dass sie keine gute Arbeit leisten.“ Er rechne damit, dass die offenen Plätze in absehbarer Zeit alle belegt seien.
Die 50 Plätze des ASB sind jedenfalls bis auf weiteres weg. Er sei „richtig wütend“, sagt Fleckenstein, der eine große Chance vertan sieht. „Das wurde durch die Unfähigkeit der Stadt und ihr irres Ausschreibungsverfahren kaputt geschossen.“ Angesichts dieser Zustände sei es keine Überraschung, dass die Stadt 120 Millionen Euro Eingliederungshilfen zurück an die Arge überwiesen habe – sie habe das Geld ja gar nicht ausgeben können.
Auch die oppositionelle SPD kritisierte gestern die Wettbewerbsideologie des Hamburger Senats. Der habe „zwar die Kosten der Maßnahmen erheblich gesenkt, die Förderqualität der Maßnahmen dabei aber völlig zerstört“, so SPD-Arbeitsmarktexperte Hans-Christoff Dees.