„Jetzt ein falscher Strich, und alles ist ruiniert!“

FEMINISMUS UND COMIC Die Zeichnerinnen Ludmilla Bartscht, claire Lenkova und Stephanie Wunderlich über ihre Anthologie „Spring“

 Anthologie: Die Comic-Anthologie „Spring“ erscheint seit 2004 im Eigenverlag und enthält ausschließlich Beiträge von Zeichnerinnen, überwiegend aus dem deutschsprachigen Raum. Jedes Jahr gibt es eine Ausgabe, die jeweils unter einem Motto steht. Der aktuelle Band, in dem 14 Zeichnerinnen vertreten sind, heißt „Happy Endings“, ist gut 250 Seiten stark und kostet 14 Euro. ■  Ausstellung: Vom 24. September bis 9. Oktober zeigt die Berliner Galerie Neurotitan Originalzeichnungen aus „Spring # 7“ und anderen Arbeiten der „Springerinnen“. Bei der Eröffnungsfeier am heutigen Freitag findet eine „Live-Zeichnen-Performance“ statt.

INTERVIEW CHRISTOPH HAAS

taz: Comic-Anthologien beginnen oft vielversprechend, verschwinden aber auch wieder schnell von der Bildfläche. „Spring“ gibt es jetzt schon seit sechs Jahren, und die Bände werden immer dicker, immer besser. Woran liegt das? claire Lenkova: Die erste Ausgabe war sehr viel Arbeit, und weil das so war, haben wir einfach weitergemacht. Wir sind stur, und wir sind Gewohnheitstiere, wie alle anderen Menschen auch. Wie ist Ihr Zusammenschluss von Zeichnerinnen zu „Spring“ überhaupt entstanden? Lenkova: Ich war damals im ersten Studienabschnitt an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und bastelte kleine Heftchen, die ich verkaufte. Claudia Ahlering, die ebenfalls Comics zeichnete, und ich waren aus der Anthologie „Orang“ – die es immer noch gibt – herausgeflogen. Also wollten wir selbst etwas aufziehen. Von der Kulturförderung haben wir einen Druckkostenzuschuss bekommen, wir haben Mitarbeiterinnen zusammengetrommelt, über einen Namen diskutiert – und mit dem Zeichnen angefangen.

Wie läuft denn die Auswahl der Beiträge? Und wer entscheidet über das Motto, unter dem jede Ausgabe steht?

Lenkova: Wir bekommen natürlich einiges zugesandt, aber da ist bislang noch nie etwas Gescheites dabei gewesen. Entweder hat das gar nichts getaugt, oder es waren Sachen, die wir schon gebracht hatten, viel zu ähnlich. Die, die uns interessieren, sprechen wir an, ob sie Lust aufs Mitmachen haben. Da immer wieder auch Zeichnerinnen aussteigen oder pausieren, regelt sich das eigentlich von selbst. Inzwischen hat es rund 30 Beiträgerinnen gegeben.

Ludmilla Bartscht: Jeder kann Vorschläge für ein Motto machen, wir reden darüber und stimmen dann ab. In der Umsetzung des Mottos gibt es sehr große Freiheiten; meine Geschichte etwa hat kein Happy End im klassischen Sinne. Aber es ist wichtig, dass es diese Vorgabe gibt, sonst besteht die Gefahr, dass man sich verzettelt.

Lenkova: Die Stile der Zeichnerinnen sind ja schon sehr unterschiedlich. Das Motto dient dazu, das Chaos zu begrenzen, Beliebigkeit zu vermeiden. Es setzt eher etwas frei, als dass es einschränkt.

Mit den Beiträgen in „Spring“ verdienen Sie kein Geld. Warum liegt Ihnen das Projekt dennoch so am Herzen? Und warum die ausschließliche Beschränkung auf Zeichnerinnen?

Stephanie Wunderlich: Als Frau hat man in diesem Metier schon den Wunsch, ernster genommen zu werden. Wenn man mich fragt: „Was machst du?“, und wenn ich sage: „Ich bin Illustratorin“, dann heißt es – vor allem weil ich selbst drei Kinder habe – sofort: „Ach, Illustratorin von Kinderbüchern!“ Männer werden nie so umstandslos in eine bestimmte Ecke gestellt. Für Frauen ist es wichtig zu zeigen, dass sie alles mögliche Anspruchsvolle können, sei es im Bereich der Illustration oder des Comics.

Lenkova: Ich bin überhaupt erst durch die Arbeit an „Spring“ dazu gekommen, mir Gedanken darüber zu machen, dass ich eine Frau bin. Ich fand das zunächst eher schlimm; das war ein Naivitätsverlust. Mich hatte doch nur das Künstlerische interessiert; darüber wollte ich mich austauschen. Es ist auch nicht so, dass wir mit „Spring“ irgendwelche Schranken errichten wollten. Wir wollten nur eine Plattform schaffen: ein tolles Heft und dazu eine Ausstellung, auf der hübsche Frauen rote Getränke ausschenken.

Es ist üblich geworden, im deutschen Autoren-Comic zwei Tendenzen auszumachen. Auf der einen Seite die Leute, die sich eher an der Bildenden Kunst orientieren und denen das Erzählen nicht so wichtig ist, auf der anderen Seite die Leute, die den Comic primär als narratives Medium begreifen. Wo verorten Sie sich?

Bartscht: Ich möchte schon erzählen, aber nicht unbedingt so, wie es etwa in „Tim und Struppi“ geschieht. Ich möchte gerne ein bisschen experimenteller vorgehen. Ich habe einmal einen Comic gemacht, in dem alle Sprechblasen schwarz gefärbt waren, so dass der Leser selbst entscheiden musste, welcher Text wohl zu diesen Bildern passt. Konkrete Aussagen sind mir auch weniger wichtig als Stimmungen. Ich möchte dem Leser etwas zumuten, daher interessiert mich auch ein nicht lineares Erzählen. Die Vorbilder dafür kommen eher aus der Literatur als aus dem Comic. Alice Munro hat mich sehr beeindruckt. Ein Comic-Klassiker, den ich allerdings sehr gut finde, ist „Krazy Kat“ von George Herriman.

Lenkova: Bei mir ist das ähnlich. Etwas zu erzählen, das ist meine Art, mich auszudrücken. Nur Bilder, die man anschaut und umblättert, das ist mir zu wenig. Das heißt ja nicht, dass man stur Panel an Panel reihen muss und sich keine Freiheiten nehmen kann. Humor ist mir auch wichtig; das Leben ist ja schon ernst genug. Dafür, dass in „Spring“ mehr Künstlerinnen zu finden sind, denen das Narrative wichtig ist, habe ich gekämpft. Das heißt aber nicht, dass wir darauf verzichten wollen, beiden Tendenzen gerecht zu werden.

Es gibt auch Beiträge, die zeigen, dass es möglich ist, in beidem zu Hause zu sein, in der Illustration und im Erzählen mit Bildern.

Wunderlich: Ich habe Grafikdesign studiert, in der Werbung gearbeitet und mich dann selbstständig gemacht. Ich mache redaktionelle Illustrationen für Zeitungen und Zeitschriften. Da geht es um zwei, höchstens drei Bilder zu einem Thema, und man muss seine Arbeit sehr schnell abliefern. Bevor ich zu „Spring“ gestoßen bin, hatte ich nie die Gelegenheit, mich gründlicher in etwas zu vertiefen und aus der Reihung mehrerer, ganzseitiger Bilder eine Geschichte entstehen zu lassen. Dass ich das nun ausprobieren kann, ist sehr schön. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, je eine Graphic Novel zu veröffentlichen. Mich reizt schon das Pointierte, Kurze, außerdem ist meine künstlerische Vorgehensweise für ein dickes Album viel zu aufwendig.

Sie arbeiten mit einer Scherenschnitttechnik, die an alte Kinderbücher erinnert, aber auch Einflüsse des Expressionismus und Surrealismus verrät.

Wunderlich: Wenn ich etwas zeichne oder male, denke ich immer: Jetzt ein falscher Strich, und alles ist ruiniert! Da bin ich ein gutes Stück verkrampfter. Am Scherenschnitt reizt mich die große Freiheit im Umgang mit dem Material. Ich mache ja nichts anderes, als Formen zu komponieren, und erst wenn ich die ideale Komposition gefunden habe, greife ich zum Klebstoff. Vorher kann ich alles verändern wie ich will. Das geht sonst nur, wenn man am Computer arbeitet. In Zukunft möchte ich aber gerne Scherenschnitt und Zeichnung kombinieren. In dem Beitrag für „Happy Endings“ habe ich schon ein bisschen mit Buntstift gearbeitet. Mich interessiert der Gegensatz zwischen den großen, groben Formen, die ich ausschneide, und den feinen Linien, die ich mit einem Stift ziehen kann.

Wird es „Spring“ in zehn Jahren noch geben? Werden dann auch Männer mitmachen dürfen?

Bartscht: Ich kann mir nicht vorstellen, in zehn Jahren noch bei „Spring“ mitzumachen. Da wird eine andere Generation von Zeichnerinnen dran sein.

Lenkova: Wir denken eigentlich nur von Ausgabe zu Ausgabe. Aber bei mir wird die Lust, weiterzumachen und „Spring“ zu verfeinern, immer größer, weil ich sehe, wie unser geistiges Kind wächst und gedeiht. Was die Männer angeht: Bei zwei Beiträgen habe ich ja schon mit Jan-Frederik Bandel zusammengearbeitet. Dann brauchen wir die Männer bei unseren Ausstellungen fürs Kistenschleppen und Aufhängen der Bilder, das sind ja wichtige Aufgaben! Und schließlich muss irgendjemand auch das Geld verdienen.