: Günters Culpa
Umstrittene Ullrich-Verträge: ARD-Programmdirektor Günter Struve prangert sich plötzlich selbst an
Es war ein merkwürdiger Auftritt gestern Nachmittag in München. ARD-Programmdirektor Günter Struve hatte geladen, um über die Geheimverträge mit Doping-Radler Jan Ullrich zu reden. Oder besser: die Schuld auf sich zu nehmen für solch eine krumme Vereinbarung – irgendwie. Fakt ist: Eines der höchsten ARD-Gremien, die Fernsehprogrammkonferenz, hat am 27. Juli 1998 die Grundsatzentscheidung gefällt, Jan Ullrich und seinem Sprinterkollegen Erik Zabel Exklusivverträge anzubieten. Unterzeichnet wurde ein Jahr später, im Juni 1999, ab da durfte die ARD gegen Zahlung einer hohen Summe – gemunkelt wird von 195.000 Euro pro Jahr – von Ullrich Homestorys drehen, exklusive Trainingsbilder abfilmen und mit seiner Teilnahme bei Sendungen wie „Beckmann“ und dem „Starquiz“ rechnen.
„Es gab bei der Sportredaktion die Sorge, dass sich die beiden exklusiv an einen anderen Sender binden“, erklärte Struve, schließlich habe Sat.1 in der Zeit die Deutschland-Tour übertragen. Schon das allein bringt die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion auf die Palme: „Durch solche Vereinbarungen ist die journalistische Unabhängigkeit der Berichterstattung eines in besonderem Maße der Öffentlichkeit verpflichteten Mediums gefährdet“, meint der Branchenverband.
Im Juni 2003, unterbrochen von Ullrichs erster Doping-Affäre, unterzeichnete die ARD einen neuen Vertrag, der zum Ende dieses Jahres ausläuft – wiederum mit Kenntnisnahme des gesamten Sendermanagements. Zwar gab es seitens der ARD 35.000 Euro weniger Garantiesumme, dafür wurde aber ein leistungsorientiertes Bonussystem eingeführt. Für Etappengewinne und natürlich auch den Toursieg wurden Extrazahlungen vereinbart. „In der Rückschau ein falsches System“, meinte Struve gestern.
Die Exklusivverträge an sich hält er dagegen nicht für verwerflich, schließlich seien sie für das Programm „manchmal sinnvoll“ gewesen. Und auch eine zu große Abhängigkeit zwischen Berichterstatter und Objekt mag er nicht erkennen. „Wir haben Ullrich nicht geschont“, sagte er mit Blick auf den diesjährigen Dopingskandal. Und: „Ich habe den zweiten Vertrag zwar nicht selbst gesehen, aber ich habe die Verantwortung.“ Als Konsequenz werde die ARD keine solchen Verträge mehr mit aktiven Sportlern abschließen, vom Rücktritt sehe er aber ab.
Ab kommenden Montag treffen sich die Intendanten der ARD in Schwerin, um unter anderem ganz tagesordnungsgemäß über eine Verlängerung von Struves Vertrag zu entscheiden. Fallen wird der ARD-Chef wohl nicht über solch eine Vertragsklausel – gerade weil kein Nachfolger für ihn in Sicht ist, will man seinen Vertrag ja notgedrungen trotz 14-jähriger Amtszeit verlängern. Und auch ein Bauernopfer, auf das manche spekuliert hatten, wird schwierig. Durch seine großherzige Verantwortungsübernahme schützt Struve seinen umstrittenen Zögling Hagen Boßdorf, ARD-Sportkoordinator und Ullrich-Biograf. Gegen den ermittelt übrigens die Hamburger Staatsanwaltschaft wegen Meineides. Auch um dessen Vertrag geht es ab kommenden Montag. MAX HÄGLER