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Junge deutsche Muslime allein gelassen

Gestern diskutierte eine Konferenz die Identität von jungen Muslimen. Dabei ging es um die großen Themen Terrorismus, Aufklärung und Säkularisierung. Die muslimischen Jugendlichen sagten nichts. Sie hätten lieber über ihr Leben gesprochen

AUS BERLIN SOPHIE HAARHAUS

„Sie haben über uns gelacht, als ob wir anders sind“, sagt Hussein F. „Ich habe mich kritisiert und beleidigt gefühlt. Jetzt will ich sagen, was ich dazu denke!“ Der 15-Jährige hat gerade den Film „Was glaubst du?“ über muslimische Jugendliche gesehen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Jugend im Dialog“ dazu eingeladen. Jetzt soll darüber diskutiert werden. Aber die Jugendlichen, die zu der Veranstaltung gekommen sind, fühlen sich nicht gefragt.

Auf dem Podium diskutieren stattdessen andere: Die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün unterhält sich mit der 23-jährigen Sara und der 28-jährigen Miriam, die im gerade gezeigten Film porträtiert wurden. Die beiden jungen Frauen drücken sich sehr gewählt aus. Auch wenn die eine strenggläubig ist und die andere den Islam kritisiert, reflektieren sie auf hohem Niveau über den Islam. Da geht es um die Französische Revolution, um Aufklärung und Säkularisierung. Themen, mit denen Jugendliche wie Hussein von der Heinrich-Heine-Oberschule wenig anfangen können.

In dem Film sind aber auch andere portraitiert worden: Cihan und Yehya, beide 15, beide aus Berlin-Neukölln. „Sich Respekt zu verschaffen, dauert sehr lange. Jemandem Angst einzujagen, dauert zwei Minuten“, sagt Yehya in die Kamera. Er hat den Weg der Angst gewählt und dafür Anzeigen bekommen. Mit seiner Religion vereinbaren kann er das nicht: „Entweder du bist religiös, oder du bist scheiße. Ich bin im Moment scheiße.“

Zur Diskussion sind die beiden nicht gekommen. Aber sie werden hier vertreten. Von Hussein und seinen Freunden zum Beispiel. Hussein ist nicht hier, um über die Säkularisierung zu reden. Er ist gekommen, um über sein Leben zu reden. Und über seine Religion. Nur will ihn keiner hören.

Die Gesprächspartner der Experten sollen „Jugendliche aus dem Publikum“ sein, so steht es im Programm. Die Jugendlichen diskutieren aber woanders. Draußen vor dem Gebäude stehen die 15- und 16-jährigen Mädchen und Jungen aus Neukölln. „Die da drinnen reden nur über sich. Niemand will wissen, wie wir das finden“, empört sich Hussein. Seine Mitschüler pflichten ihm bei. „Jetzt reden sie über den 11. September. Was hat das mit uns zu tun?“ Wenn sie ihn gefragt hätten, sagt Hussein, hätte er ihnen gesagt: „Ich bin Moslem und ich will mich nicht ändern lassen. Meine Religion hat nichts mit Gewalt zu tun.“

Die 24-jährige Politikstudentin Pinar Cetin versteht die Aufregung der Jugendlichen. Die Tochter türkischer Gastarbeiter ist in Berlin geboren. „Muslimische Jugendliche kommen in Deutschland zwangsweise in eine Identitätskrise“, erklärt sie. „Man fragt sich, wo man hingehört. In der Zeit ist man sehr empfindlich.“ Jede Frage zum Hintergrund, auf die die Jugendlichen selbst noch keine Antwort wüssten, werde so als Angriff gesehen. „Die Jugendlichen werden dann oft aggressiv“, erklärt Cetin. „Sie wissen nicht, wo sie hingehören, und sind einfach verunsichert.“

Cetin spricht aus Erfahrung. Als in den Medien über „Allahs rechtlose Töchter“ sinniert wurde, fühlte sich die Kopftuchträgerin von jedem unschuldigen Blick angegriffen. Heute macht sie Moscheeführungen und hat so gelernt, mit Vorurteilen umzugehen. So ist sie aus ihrer Identitätskrise wieder herausgekommen: „Ich fühle mich als Teil dieser Gesellschaft und möchte das auch bleiben“, sagt sie. Die Antworten auf die Fragen, die ihr so oft gestellt werden, hat sie für sich selbst geklärt. Die Jugendlichen, meint sie, die hier ihren Glauben verteidigen wollen, seien noch auf der Suche.

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