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Archiv-Artikel

Waldorf-Mamas machen mobil

HÄKELN 2.0 Die alternative Handcraft-Szene nutzt das Internet, um Waldorf-Puppen weltweit anbieten zu können

VON MARIA BERANEK

Eine Rarität in meiner DDR-Kindheit waren anthroposophische Bastelanleitungen, die zeigten, wie man zu Hause selbst Waldorfpuppen, Marionetten und bewegliche Pop-up-Bilderbücher herstellt. Meine Mutter hatte sie über Umwege aus den Westen bekommen und verborgte sie ab und zu an andere Do-it-yourself-Künstler in ihrem Bekanntenkreis. Nach den Anleitungen entstanden Spielfiguren für die Aufführung von Grimms Märchen, Pappbilderbücher und knautschige Stofftiere.

Trotz Mauer und Stacheldraht bevölkerten so regenbogenfarbige Feenreigen, Filztiere in lauernden Posen und Zwerge mit Schafwollbart die Kinderzimmer in Ost und West. Heutzutage sind Schnitt- und Strickmusterbögen für von der Waldorfpädagogik inspiriertes Spielzeug nur noch einen Mausklick entfernt. Besonders die amerikanischen „Crafty Mamas“ nutzen die Möglichkeiten des Web 2.0, um ihren Lebensstil, ihre handarbeitlichen Fähigkeiten vorzustellen, aber auch um Produkte im eigenen Kreativblog zu verkaufen. So betreiben die Zwillingsschwestern Laura und Katie Startzman aus Kentucky den Blog Duo Fiberwork. Sie sind von der Ästhetik der Waldorfschule inspirierte manische „Stuff Makers“.

Duo Fiberwork gewährt Einblick in das Landleben mit Kindern, bietet mit großen Fotos illustrierte Schritt-für-Schritt-Anleitungen für das Basteln von Tannenzapfenzwergen, Papierlaternen und Fenstersternen im Waldorfstil. Neben den Gratis-Tutorials auf ihrem Blog verkaufen Laura und Katie aber auch Musterbögen für Matroschkas und Zwergenhäuser auf der digitalen Marktplattform Etsy. Katie liest und empfiehlt auch einmal ein E-Book wie „Social Media for your Crafty Business“ von Diana Gilleland.

Von wegen Technophobie: die „Crafty Mamas“ haben ein Profil bei Facebook, twittern und verkaufen im Internetshop. Wer als Kind die Waldorfschule besuchte, liebte oder hasste das im Curriculum verankerte „schöpferische Gestalten“.

Mit der Wiederkehr von Handwerkeln, Basteln und Handarbeiten können die frühen Schultraumata nun vielleicht in einen schicken Trend oder bare Münze umgewandelt werden. Die Puppen, Stofftiere und Marionetten nach Waldorfart erobern als „Marke Eigenbau“, so der Titel des programmatischen Buches von Holm Friebe und Thomas Ramge, die Vertriebs- und Verkaufswege des Internets.

Wer wäre für den von den Autoren proklamierten „Aufstand gegen die Massenproduktion“ auch besser geeignet als die vereinigten HandarbeiterInnen aller Länder? Eine Suchanfrage bei Etsy, der 2005 gegründeten ersten amerikanischen Verkaufsplattform und Social Community für Selbstgemachtes ergibt über 11.000 „Waldorf“-Treffer.

Etsy listet Waldorfpuppen unterschiedlichster Art, Puppensachen, Filz-, Strick- und Stofftiere im Waldorfstil, Zwerge, Gnome und Feen aus Märchenwolle und handschmeichelndes Holzspielzeug auf. Etsys deutsches Pendant DaWanda listet immerhin über 2.000 ähnliche Treffer. Für meine Mutter, die bis auf E-Mail noch im Offline-Land lebt, blieb das bis heute leider eine fremde Welt. Schade. Dabei könnte sie als „Crafty Mama“ bestimmt noch mal groß rauskommen.