: Kochen nach Vorschrift
GESCHÄFT Für ein Currygericht in fünf Läden gehen und später vertrocknen die Korianderreste im Schrank. Ein Berliner Laden will enttäuschte Kochbuchleser zu Meisterköchen machen. Mit exakt portionierten Zutaten, nach Rezepten geordnet. Schön simpel, das Kochen – als Produktionsroboter
■ Der Laden: Kochhaus, Akazienstraße 1 in Berlin-Schöneberg. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 10 bis 21 Uhr, Samstag von 9 bis 20 Uhr. Im Netz: www.kochaus.de
■ Die Idee: Im Kochhaus werden Zutaten nach wechselnden Rezepten angeordnet, exakt portioniert und verkauft. Dazu gibt’s Kochanleitungen. Die Macher wollen Kochmuffel mit wenig Zeit an gute Küche heranführen.
■ Die Konkurrenz: Ein ähnliches Konzept verfolgt KommtEssen in Hamburg. Familien werden mit Biolebensmitteln für die ganze Woche beliefert, portioniert in fünf Hauptgerichte für vier Personen. In Schweden ist das „Kochbuch auf Rädern“ schon seit Jahren ein Renner, in Deutschland soll das Konzept jetzt auf weitere Großstädte übertragen werden. Im Netz: www.kommtessen.de
VON ADRIAN PICKSHAUS
Wenn Markus „Lanz kocht“, hechte ich zur Fernbedienung und schalte weg. Wenn der Privatsender Vox zum „Promi-Dinner“ lädt, bin ich gerade auf dem Weg zur Dönerbude. Und es verstauben auch nur zwei Kochbücher in meinem Küchenregal: „Italienische Blitzküche“ und „Italienische Klassiker“. Die speckigen Schwarten sind Relikte meiner Studienzeit. Man könnte also sagen: Der Koch-Hype der letzten Jahre ist an mir vorbeigegangen.
Um Menschen wie mich öfter an den Herd zu holen – und natürlich, um damit Geld zu verdienen –, haben fünf junge Berliner einen Supermarkt der besonderen Art eröffnet: das Kochhaus in Berlin-Schöneberg. In schönes Ambiente sind dort Produkte nach rund zwanzig wechselnden Rezepten geordnet und exakt portioniert. Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung auf Hochglanzpapier gibt es gratis dazu. Klingt nach einem guten Konzept – das es zu testen gilt.
An einem diesigen Nachmittag schlurfe ich in den schickeren Teil von Berlin-Schöneberg. Bioläden neben asiatischen Restaurants, spanische Weinhändler neben deutschen Yogaschulen. Hier wohnen Menschen mit hohem Einkommen, hohen Ansprüchen und gutem Gewissen.
Das Lebensmittel-Tetris
Das Kochhaus fällt auf. Dunkle Mauern, große Schaufenster im Erdgeschoss einer Neubauecke. Davor Tische und Stühle unter grauen Markisen. Alles ziemlich stylish. Ich trete ein in das „begehbare Kochbuch“ (Webseite). Rund 160 Quadratmeter Ladenfläche liegen vor mir, gestrichen in der Modefarbe „Greige“. Für alle, die Lady Gagas Nagellack nicht besonders interessiert: Das ist eine Mischung aus Grau und Beige. Schwer angesagt – aber wenig appetitanregend.
Auf den „Rezeptinseln“ – zwanzig schwarzen Tischen – liegen alle Zutaten für Gerichte, die auf Fotopostern über den Tischen hängen. An einem gibt es die Bausteine für „Indisches Kichererbsencurry mit Rambutan und Basmatireis“, nebenan liegt das bunte Arsenal für „Schweinefilet mit gerösteten Kräuterseitlingen und Süßkartoffeln“. Gemüse ruht in geflochtenen Körbchen, Fleisch liegt in offenen Kühlschränken. Jetzt bekomme ich Hunger.
Das Lebensmittel-Tetris soll idiotensicher sein: Kleine Kärtchen neben den jeweiligen Zutaten verraten, wie viel Schwein es braucht, um vier Personen satt zu machen. Die Gewürze sind bis aufs Gramm genau abgewogen und in kleinen Plastiksäckchen verpackt. Der Rezeptflyer zum Mitnehmen begleitet den Hobbykoch per Fotoserie vom Zwiebelschälen bis zum Serviervorschlag. Eine Weinempfehlung gibt es auch. Ich fühle mich gegängelt.
Karl Dieterich, 27, graue Röhrenjeans und spitze Lederschuhe, ist der Chefeinkäufer im Kochhaus. Der Betriebswirt hatte bisher mit Lebensmitteln nicht viel am Hut. Er hat in Mexiko gearbeitet, für ein deutsches Logistikunternehmen, es ging um Autoteile. Nach Deutschland zurück kam er „für die Idee“, die er und seine Freunde bei einem gemeinsamen Kochabend hatten. Sie fragten sich, warum einem beim Einkauf so viele Steine in den Weg gelegt werden. „Da gibt es im Supermarkt mal eine Zutat nicht, dann muss man in den nächsten Laden. Und dann diese Mengen. So etwas wie Koriandersaat brauch ich vielleicht nur einmal für ein Gericht. Und dann? Bleibt es im Schrank, bis ich die Packung irgendwann wegwerfe.“ Das könne im Kochhaus nicht passieren.
Stimmt. Im Kochhaus gibt es heute nicht zu viel, sondern zu wenig. Der Fisch ist alle. Das „Kabeljaufilet mit rotem Linsengemüse und Lorbeersoße“ wird für mich ein kulinarischer Wunschtraum bleiben. Die leere Kühltruhe am Rezepttisch erinnert an DDR-Supermärkte. „Kinderkrankheiten“ seien das, sagt Dieterich, der Laden sei ja erst seit zwei Wochen offen. Man wisse noch nicht genau, was am Tag so wegginge, außerdem käme der Fisch ja direkt frisch aus Bremerhaven. Wenn er denn kommt.
Soziales Event Kochabend
Ich entscheide mich für einen Klassiker: Coq au vin, Hähnchen im Rotweintopf. Schwierigkeitsstufe „einfach“, behauptet das Rezeptposter. Ich schaufele Champignons mit bloßen Händen in eine braune Papiertüte, stecke eine Stange Lauch dazu, greife nach dem Biohuhn. Das fühlt sich alles ganz gut an. Heißt so etwas im Marketingsprech nicht „haptisches Einkaufserlebnis“?
Als Vorspeise wähle ich den „Auberginen-Salat mit Halloumi und Joghurt-Minz-Dressing“. Karl Dieterich checkt für mich an der Kasse noch mal die Tüten durch. Gut so, denn ich bin seinen bunten Postern blind gefolgt. Ich kaufe für vier Leute ein, zahle 41,50 Euro, inklusive zwei Flaschen Rotwein zum Trinken und Kochen. In der U-Bahn schneidet mir die Tragekordel der Papiertüte in die Hand. Aber es stört nicht, denn in Gedanken bin ich schon bei meinem „sozialen Event“, wie Dieterich so einen Kochabend wohl nennen würde.
Zu Hause in der Neuköllner Single-Küche mache ich mich ans Werk. Als Soundtrack wähle ich den Bossa-Nova von „Nouvelle Vague“, wegen Frankreich und so. Das Kochen ist wirklich einfach. Die Fotoserien begleiten jeden meiner Schnitte, um Mengenangaben brauche ich mich dank der Portionierung nicht zu kümmern. Probleme mache ich mir selbst: links Hähnchen mit Rotwein ablöschen, rechts Auberginen mit Kreuzkümmel-Pfeffer-Marinade einpinseln? Hauptgericht und Vorspeise zeitgleich herbeizukochen, das übersteigt mein Talent zum Multitasking. Ein Schluck Wein lässt das Zittern verschwinden.
Das Essen wird zum Triumph. Meine Freundin Luise lobt den libanesischen Auberginensalat („Ooh, wie toll du den angerichtet hast!“), ihre Schwester Clara das Rotweinhuhn („Mmh, das Fleisch ist echt zart!“), und mein überkritischer Kollege Philipp adelt den Wein („Joah, kann man machen“). Das System Kochhaus funktioniert, weil es mich funktionieren lässt. Aber der Triumph fühlt sich nicht echt an. Weil es nicht mein eigener ist.
Es geht etwas verloren beim Kochen nach Vorschrift: der Zauber. Weil meine Augen nur nach fremden Bildern kochen. Weil jede Prise Gewürzsumach exakt berechnet ist. Und weil ich doch ein wenig Jäger und Sammler bleiben und für Zutaten zwischen Marktstand, Feinkostgeschäft und Discounter hin und her hetzen will.
Mein Selbstversuch hat ergeben: Ich kann kochen nach Plan, meine drei Gäste waren begeistert. Doch ich selbst fühlte mich am Herd nicht wie ein Möchtegern-Mälzer. Eher wie ein Produktionsroboter.