: Die Popularität des Widerstands
Die Bush-Regierung wollte im Nahen Osten mit Gewalt die Demokratie erzwingen. Davon redet heute niemand mehr – übrig geblieben ist die Gewalt
AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY
Es gibt wahrscheinlich kein akkurateres arabisches Politbarometer als den Dattelmarkt in Kairo. Hier, mitten im Gewühl unter einer Nilbrücke im Norden der Stadt, zwischen Säcken voller brauner Früchte und Scharen eifriger Käufer, werden jedes Jahr im September zum Beginn der Dattelsaison die beliebtesten arabischen Persönlichkeiten auserkoren. Entscheidend ist hierbei die stets wechselnde Namensgebung für die braunen Früchte.
Vor fünf Jahren kurz nach den Anschlägen des 11. September war der größten, süßlichsten und teuersten Dattelsorte stolz der Name „Bin Laden“ verliehen worden. Das krasse Gegenteil zu jener vertrockneten mickrigen Ausschussware, die damals der weniger kaufkräftigen Kundschaft unter dem Namen „George Bush“ angeboten wurde.
Heute, fünf Dattelernten später, trägt das am kläglichsten aussehende Früchtchen immer noch den Namen des US-Präsidenten, während sich die Königin der Datteln, erst vor kurzem von den edelsten Palmen im Osten der südägyptischen Stadt Assuan gepflückt, mit dem Namen des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah schmückt.
Das Ibn-Khaldun-Zentrum des prominenten ägyptischen Soziologen Saad Eddin Ibrahim kommt auf der etwas wissenschaftlicheren Basis einer Meinungsumfrage zum gleichen Ergebnis. Nasrallah rangiert für die Ägypter als „wichtigster regionaler Politiker“ mit Abstand auf Platz eins – nach dem iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, dem Hamas-Chef Khaled Maschaal, Bin Laden und dem Chef der ägyptischen Muslimbrüder Mahdi Akef. Der ägyptische Präsident Husni Mubarak liegt auf Rang 18.
Eine Auflistung, wohl kaum nach westlichem Geschmack, die auch zeigt, wie sehr die arabische öffentliche Meinung ihre Hoffnung auf eine friedliche Lösung der Konflikte der Region verloren hat. Wer auf Konfrontationskurs geht, steigt in der Beliebtheitsskala. „Islamistische Organisationen sind aus einem einzigen Grund in diesem Teil der Welt populär geworden, sie leisten Widerstand“, schlussfolgert der liberale ägyptische Kolumnist Salama Ahmad Salama.
Die Stimmung in den arabischen Ländern ist antiamerikanischer als vor fünf Jahren, resümiert Hassan Nafaa, der Dekan der politikwissenschaftlichen Fakultät der Kairoer Universität. „Das Entscheidende ist“, so Nafaa, „dass die Menschen den nach dem 11. September von Bush ausgerufenen Kampf gegen den Terror als gegen alle Araber und Muslime gerichtet sehen.“ Der Krieg in Afghanistan wäre vielleicht gerade noch als ein relativ zielgerichteten Vorstoß gegen al-Qaida akzeptiert worden, meint Nafaa, aber spätestens seit der – mit imaginären irakischen Massenvernichtungswaffen und der imaginären Verbindung zwischen Saddam und Bin Laden gerechtfertigten – Irak-Invasion sei es mit dem arabischen Verständnis vorbei gewesen.
Der Chef der Arabischen Liga, Amru Musa, hatte damals gewarnt, dass mit dem Irakkrieg „das Tor zur Hölle“ aufgestoßen würde. Er sollte Recht behalten. Die Lage im Irak stellt inzwischen auch pessimistische Voraussagen in den Schatten. Der Skandal um das Abu-Ghraib-Gefängnis ließ das kleine verbliebene proamerikanische Häuflein in der arabischen Welt endgültig verstummen. Das große Demokratisierungs-Musterland Irak ist einer abschreckenden Mixtur aus Bürgerkrieg und hoffnungslos überforderten Besatzungstruppen gewichen, die alle Arten von heiligen Kriegern geradezu magnetisch anzieht. „Der Irak ist George Bushs persönliches Geschenk an Bin Laden“, schreibt der libanesische Daily Star.
Der von Washington proklamierte Demokratisierungsvorstoß ist inzwischen nur noch Thema sarkastischer Kommentare in den arabischen Medien. „Demokratie ist ein nobles Ziel, aber die Bush-Regierung hat die Demokratie in den palästinensischen Gebieten bekämpft“, schrieb die überregionale arabische Tageszeitung Al-Hayat letzte Woche. Als Hamas die Wahlen gewann, habe Bush es Israel überlassen, den gewählten Vertretern den Krieg zu erklären und sie sogar einzusperren, schreibt das Blatt. Auch die libanesische Zedernrevolution sei von den USA gelobt worden – „nur damit Washington anschließend Israel einen Blankoscheck ausstellt, die libanesische Infrastruktur zu zerstören und mehr als tausend libanesische Zivilisten zu töten“. Nirgends habe sich die Demokratie im Sinne der USA entwickelt. Bei den Parlamentswahlen in Ägypten haben alle Oppositionellen zugelegt, die in offenem Clinch mit der US-Politik stehen. Selbst Washingtons Verbündete in der irakischen Regierung seien unzuverlässige Kandidaten. „Der irakische Premier Nouri al-Maliki steht der Hisbollah näher als der republikanischen Partei“, polemisiert die Zeitung.
Der Weg des Niedergangs des amerikanischen Images hat eine klare Kontur. Er verläuft von Afghanistan über den Irak bis zum Libanon. Abdel Monem Said, vom Al-Ahram-Zentrum für Strategische Studien in Kairo, spricht von den „drei offenen Wunden“, die die vermeintlich übermächtige amerikanische bzw. israelische Kriegsmaschinerie in der Region aufgerissen hat und die sich nicht mehr schließen lassen. Der Fehler war stets der gleiche: Die Machtverhältnisse in der Region sollten militärisch verändert werden. So war es bei den Taliban, bei Saddam Hussein und der Hisbollah – doch in keinem Fall wurde mit militärischen Mitteln eine stabile Neuordnung der Region geschaffen.
Und selbst wenn die Hisbollah im Libanonkrieg tatsächlich militärisch ernsthaft Schaden genommen hätte – politisch hätte sie auch dann gewonnen. Denn es sind die brutalen militärischen Aktionen Israels, die die arabische Wut speisen, die Organisationen wie Hisbollah am Leben hält. Selbst wenn die Hisbollah zerstört wäre – ihr Geist würde später in anderer Form wieder auftauchen.
Wir erinnern uns an die Diskussion während des Golfkrieges 1991. Wird die arabische Straße rebellieren? –so lautete damals die immer wieder ängstlich gestellte Frage. Die arabischen Massen blieben relativ ruhig, wurde nach dem Krieg erleichtert festgestellt. Aber zehn Jahre später flogen zwei Flugzeuge in das World Trade Center in New York und al-Qaida, von der man 1991 noch nichts gehört hatte, erlangte traurige Prominenz.
Ohne den Golfkrieg 1991 hätte es die Anschläge vom 11. 9. wahrscheinlich nie gegeben. Sie waren eine Folge des Golfkrieges und der US-Truppen, die damals erstmals am Golf stationiert worden waren. Nach dem Rückzug der Sowjettruppen aus Afghanistan hatte Bin Laden seine Anhänger jahrelang mit der „Präsenz der Ungläubigen“, der US-Truppen, am Golf, allen voran in Saudi-Arabien, mobilisiert. Wer hätte sich damals den 11. 9. selbst in der wildesten Fantasie ausmalen können?
Was wird aus dem Afghanistankrieg, dem Irak- und Libanonkrieg in den nächsten Jahren werden? Während im Westen der Antiterrorkampf propagiert wird, werden in der arabischen Welt spätestens seit dem Libanon- und Irakkrieg die Erfolge einer asymmetrischen Kriegsführung gefeiert. Jiujitsu-Politik wird diese Methode inzwischen auch genannt, nach der asiatischen Kampfsportart, in der die Kraft des Gegners gegen ihn selbst angewandt wird. Erstmals wächst in der arabischen Welt das Selbstbewusstsein, Israel und den militärischen US-Interventionen nicht vollkommen machtlos gegenüberzustehen. Die USA bekommen den Irak nicht unter Kontrolle, wenngleich zum Preis der irakischen Selbstzerfleischung. Afghanistan entwickelt sich mehr und mehr zum Albtraum der dort stationierten ausländischen Truppen. „Terror“ und „Widerstand“ und eine Guerillakriegsführung verschmelzen aus arabischer Perspektive zu einem Erfolgsrezept, sich nicht alles gefallen lassen zu müssen. Über die Mittel wird in der arabischen Welt nur wenig debattiert: der Zweck heiligt die Kämpfer.
Paradoxerweise wurde diese Sichtweise dadurch verschärft, dass in den USA al-Qaida, Hisbollah und Hamas allesamt als Terrorgruppen gelten und in einen Topf geworfen werden. „Hamas und Hisbollah“, so der ägyptische Politologe Hassan Nafaa, „werden in der arabischen öffentlichen Meinung als legitime Organisationen angesehen, die um die Rechte der Araber kämpfen.“ Die USA haben nach dem 11. 9. 2001 die Besetzung der Westbank und die israelische Vorgehensweise in Gaza und im Libanon als Teil des weltweiten Antiterrorkampfes adoptiert. Diese Politik hat Washington in der Region eine tief gehende Glaubwürdigkeitskrise beschert.
„Erfolg ist, wenn wir mehr Terroristen töten und abschrecken als neue rekrutiert werden“, so hat der US-Verteidigungsminister den Fortschritt im Antiterrorkampf definiert. Inzwischen weiß jeder ägyptische Dattelbauer, dass Donald Rumsfeld seinen Krieg verloren hat.