: Nicht ganz von dieser Welt
Einziges Deutschlandkonzert blieb hinter den, zugegeben, hohen Erwartungen zurück: Der Astro-Disco-Interpret Kelley Polar spielte mit Begleitensemble in der Panorama Bar
Eigentlich war die Panorama Bar der perfekte Ort für den ersten Deutschland-Auftritt von Kelley Polar, der mit dem entrückten Astro-Disco von „Love Songs Of The Hanging Gardens“ eine der schönsten Platten des vergangenen Jahres eingespielt hat. Das Album ist eine Fantasie, ein so melancholischer wie bezaubernder Versuch, die untergegangene Disco-Wunderwelt der späten Siebziger und frühen Achtziger zu beschwören, als Orchestermusik Pop war, Alt und Jung kein Widerspruch und sich der Glamour von allein ergab. Diese Welt war natürlich immer schon ein Traum. Genau deshalb passte Polar so gut in die Panorama Bar – viel näher als hier dürfte er seinem Traum wohl nirgends kommen können.
Kelley Polar, in Dubrovnik geboren und in New York als Sohn kroatischer Diplomaten aufgewachsen, ist ein komischer Vogel. Mit drei Jahren lernte er Geige spielen und studierte später an einer renommierten Musikhochschule Komposition. Das wurde ihm aber irgendwann zu langweilig und er fing an, für den House-Produzenten Morgan Geist Streicher zu arrangieren und eigene Stücke aufzunehmen. Aber am liebsten, so sagt er in Interviews, sitzt er zu Hause in New Jersey auf dem Land und hat seine Ruhe.
Mit fünf Leuten war er gekommen, drei Streichern, einer Sängerin und Morgan Geist, der den Auftritt am elektrischen Tischschlagzeug begleitete. Alle trugen merkwürdige Space-Outfits, weiße Arztkittel, beklebt mit kleinen Spiegeln, als seien sie auf ihrer Herreise in einen Asteroidengürtel aus zerplatzten Discokugeln geraten. Dazu trugen sie Blumenkränze auf dem Kopf. Und Kelley Polars Hosennaht im Schritt war mit einer Lichterkette besetzt, die hell leuchtete, während Polar seine Lieder sang.
Es hätte alles so schön werden können, es hätte alles gepasst – wenn es ein bisschen besser gewesen wäre. Aber leider wurde Polars Stimme unter den Drumsounds begraben. Und auch wenn er die Augen einigermaßen teuflisch aufriss – von außergewöhnlichem Bühnencharisma lässt sich in seinem Fall sicher nicht sprechen. Die Streicher hörte man zudem fast gar nicht, während sie dekorativ herumsaßen – obwohl in Partituren vertiefte Menschen in der Panorama Bar, die sonst eher Raum für andere mögliche Exzentrizitäten bietet, ein schönes Bild abgaben. So spielten sie dann „Ashamed Of Myself“ und „Here In The Night“. Wenn man sich einige klangliche Details dazudachte, dann ließ sich die individuell-künstlerische Weltabgewandtheit von Polar ganz gut in die kollektive Weltabgewandtheit der ganzen Situation übersetzen – morgens um fünf, umgeben von rappelvoll gepackten begeisterten Menschen. Toll natürlich, aber eben auch nicht ganz von dieser Welt.
Es blieb in den Händen von Morgan Geist, mit seinem anschließenden wunderschönen Italo-Disco-DJ-Set alles zusammenzufügen. Kelley Polar war sogar bis sieben Uhr auf der Tanzfläche. TOBIAS RAPP