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Archiv-Artikel

The Rock – Stein der Entscheidung

Land Of The Free (2): Der Verlobungsring ist das wichtigste Statussymbol der amerikanischen Frau

Vor ein paar Tagen rief meine sehr amerikanische Freundin Robin an. Sie habe „major news“, äußerst wichtige Neuigkeiten. Wir verabredeten uns dann gleich nach der Arbeit auf einen Eiskaffee im „Coffee Pot“, einem kleinen Café gleich bei mir um die Ecke in Midtown Manhattan.

Zwischen stiernackigen Wall-Street-Maklern in blauen Karrierehemden, die ihre Ohren mit IPods verstöpselt hatten und an kalorienarmen, alkoholfreien Feierabendgetränken nuckelten, saß Robin. Die langen blonden Haare zum perfekten Pferdeschwanz gebunden, die Augenbrauen sorgfältig gerupft und mit genau der richtigen Anzahl von Sommersprossen auf den Wangen – Robin ist eine texanische Südstaatenschönheit par exellence.

Triumphierend streckte sie mir ihre manikürte rechte Hand entgegen. Am Ringfinger blitzte und funkelte „the rock“.

„The rock“, das ist nicht irgendein Edelstein, sondern der massive Brillant des Verlobungsringes, der die Hand einer jeden anständigen Amerikanerin ziert. Egal wie reich oder arm, hübsch oder hässlich, schwarz, braun oder weiß sie ist. „The rock“ ist das wichtigste Statussymbol der amerikanischen Frau und sie tut viel dafür, ihn an ihrem Finger zu fühlen.

Besonders Frauen in ihren Endzwanzigern werden nervös und verzweifeln schnell, wenn „the rock“ nicht in greifbarer Nähe ist. Erst wenn sie der ganzen Welt zeigen können, dass sie verlobt sind, fühlen sie sich als wahre Frauen, erfüllen sie die Rolle, die ihnen die amerikanische Gesellschaft vorgeschrieben hat. Denn trotz des angeblich so geheiligten US-Individualismus ist der Druck, genau wie alle anderen sein zu müssen (und dabei bitte auch noch erfolgreich!), wahnsinnig groß. Wer weiblich, 30 und unverheiratet ist, der hat definitiv was falsch gemacht.

„Rock“ ist nicht gleich „rock“. Zwar sehen die Verlobungsringe mit dem runden, aufgesetzten Brillanten für das ungeübte europäische Auge völlig identisch und konform aus, doch das täuscht. Was zählt, ist die Größe des Edelsteins. Es gilt die Regel, dass der Zukünftige zwei Monatsgehälter für den Ring hinblättern sollte. Je mehr Geld er verdient, umso fetter der Brilli, umso mehr kann frau damit angeben, dass sie guten Fang gemacht hat.

Den Ring kann man als Konfektionsware von der Stange kaufen. Zales, die größten Juwelierkette der USA, macht 76,3 Prozent des Umsatzes mit dem Verkauf von Verlobungsringen und verkauft jedes Jahr hunderttausende „engagement rings“. Zugezogene New Yorker und reiche Landeier gehen zu Tiffany & Co. auf der Fifth Avenue. Da zahlen sie zwar noch mal 10 Prozent mehr für den Markennamen, aber dafür wird die zukünftige Braut bei Anblick der berühmten türkisen Schmuckbox bestimmt extralaute Entzückensschreie ausstoßen. Tiffany’s bietet Verlobungsringe zum Preis von 1.000 bis zu 1 Million Dollar. Der freundliche Verkäufer hinter der Glasvitrine mit den Verlobungsringen rät jedoch, dass man schon um die 38.000 Dollar veranschlagen solle, damit der „rock“ nicht allzu mickrig aussehe. Für die kleine Minderheit der amerikanischen Gutmenschen gibt’s jetzt auch den „conflict-free“-Ring mit einer schriftlichen Garantie, dass beim Abbau und Handel des kostbaren Steins nicht hunderte von Menschen in Afrika ermordet wurden.

Robins frisch Verlobter, Andrew, ist ein echter Manhattanite und darum hat er den Ring bei den chassidischen Juden im „Diamond District“ ganz in der Nähe vom Rockefeller Center gekauft. Bei den Diamantenhändlern mit den schwarzen Samtkäppchen und geringelten Schläfenlocken kann man immer ein günstiges Angebot finden – oder zumindest überzeugen sie einen davon, dass man ein Schnäppchen gemacht hat.

Tja, und was Robins Ring angeht, so hundertpro zufrieden ist sie nicht. Andrew hat seine Facharztausbildung am Columbia Presbyterian Hospital nämlich noch nicht beendet und von seinen zwei bescheidenen Monatsgehältern konnte er leider nur einen relativ unscheinbaren Brillanten kaufen. Ist aber nicht weiter schlimm, sagt Robin, ganz die optimistisch-pragmatische Amerikanerin. „In ein paar Jahren wird Andrew als Internist so viel Geld verdienen, dass ich mir den Ring ‚upgraden‘ lasse und diesen hier gegen einen richtig großen ‚rock‘ eintauschen werde.“ KIRSTEN GRIESHABER

Unter dem Titel „Land Of The Free“ berichtet Kirsten Grieshaber unregelmäßig über den Alltag in New York City