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Archiv-Artikel

DER GRÜNE NEW DEAL Angst essen Erzählung auf

ISOLDE CHARIM

Knapp überm Boulevard

Die deutschen Grünen werden langsam zu einer Volkspartei. In manchen Umfragen haben sie die SPD schon eingeholt. Woher rührt dieser große Erfolg? Weil die Führungsriege nicht mehr streitet? Okay, aber das ist noch keine hinreichende Erklärung. Weil die grünen Themen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind? Auch das ist keine plausible Erklärung. Denn das wäre doch eher die Erklärung für einen Bedeutungsverlust: Umweltthemen werden zur Querschnittmaterie, alle Parteien wenden sich diesen Problemen zu. Kurzum: Heute ist jeder für Umweltschutz. Er ist für alle ein Thema, selbst für hartgesottene Gewerkschafter. Dafür braucht es die Grünen nicht mehr. Daraus würde folgen: Abschaffung wegen zu großer Erfolge. Nein, es muss etwas anderes sein, was hinter ihrem Höhenflug steckt.

Hoffnung in der Krise

Der schön zweideutige Titel eines Symposions hat mich da auf eine Idee gebracht: „Hoffnung und Angst in der Krise“. Ist das nun die Frage danach, wie es um Hoffnungen und Ängste in der Finanzkrise steht – oder die Frage nach der Krise, in der die Hoffnungen und Ängste stecken? Auf Letzteres würde man spontan antworten, dass die politischen Hoffnungen in einer so massiven Krise stecken, dass man sich nicht vorstellen kann, dass diese anders als tödlich für die Hoffnung ausgehen kann. Woher kommt Hoffnung, wenn die Hoffnung selbst in der Krise ist? Wir alle wissen und haben es von überall her gehört: Es gibt keine großen Erzählungen mehr. Die großen Erzählungen der Freiheit, der Emanzipation haben ihre Glaubwürdigkeit verloren.

Gleichzeitig aber würde man doch nicht zögern zu sagen, die Angst habe überhaupt keine Krise. Ganz im Gegenteil: Sie hat höchste Konjunktur. Die Angst vor dem nächsten Finanzkollaps, die Angst vor der globalen Erwärmung, vor dem Kollaps der Umwelt, die Angst vor dem Ende von Demokratie und Zivilisation – von Postdemokratie bis Sarrazin reicht die Palette. Nun ist es natürlich bekannt, dass die Rechten von Angsterzählungen profitieren. Weshalb sie diese auf jede erdenkliche Weise fördern: erfinden und anheizen – wie man ja derzeit wieder besonders gut beobachten kann. Was aber, wenn es auch eine andere, eine linke Angsterzählung gibt?

Vielleicht sollte man die Rede von der „großen Erzählung“ noch einmal spezifizieren: Neben der großen Erzählung der Hoffnung, ob diese sich nun um den Namen „Nation“ oder „Klasse“ organisieren, gibt es auch eine große Erzählung der Angst. Wir hätten also zwei Typen von großen Erzählungen, das heißt von Narrativen, die Menschen emotional und intellektuell packen. Während die Hoffnungserzählungen tatsächlich bis auf weiteres ihre Glaubwürdigkeit verloren haben, haben die großen Erzählungen von der Angst, von der drohenden Katastrophe, vom möglichen Untergang heute vollste Überzeugungskraft. Diese florieren nicht nur in ihrer Sarrazin-Version, sondern auch in den Narrativen von der Umweltkatastrophe.

Sagen Sie jetzt nicht, das eine sei eine geschürte, das andere hingegen eine reale Bedrohung. Für die Wirksamkeit der Erzählung ist das unerheblich. Derjenige, der an eine Erzählung glaubt, glaubt auch unerschütterlich an deren Realitätsgehalt. Weshalb alle rationale Argumentation gegen solche Ängste – etwa die vor der Überfremdung – scheitert. Da hilft kein Aufklären. Nun hat die Geschichte der grünen Bewegung mit solch einem Angstnarrativ begonnen. Der Aufstieg der Grünen ist der Erfolg einer großen Angsterzählung.

Ein neues Narrativ

Hoffnungserzählungen hatten immer auch eine Prise Angst, aber sie waren getragen von der Vorstellung, eine neue Gesellschaft, einen neuen Menschen, eine neue Welt zu schaffen. Während die Angsterzählungen zwar jeweils eine Prise Hoffnung haben, aber von der Vorstellung einer Katastrophe, die man abwenden muss, getragen sind. Im besten Fall erreicht man also den Status quo ante, den bisherigen Zustand. Statt auf Erschließung eines Neuen zielt man auf die Erhaltung des Bestehenden. Und angesichts all der derzeitigen Krisen scheint es den Grünen zu gelingen, ein neues gültiges Narrativ anzubieten, das die Menschen erfasst, weil es alle Ängste bündelt. Ihr Erfolg verdankt sich einer neuen Story: Der Green New Deal wird zur großen Erzählung unserer Zeit.

■ Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien