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Archiv-Artikel

Hier sind die Genossen König

WIRTSCHAFT Einst wurde in der alten Königsstadt in Prenzlauer Berg Bier gebraut. Heute unterhält eine Genossenschaft dort einen Gewerbehof mit mehr als vierzig erfolgreichen Unternehmen

„Wir gestalten dieses Viertel auch politisch“

KLAUS LEMMNITZ, VORSITZENDER DES VORSTANDS

VON JULIANE WIEDEMEIER

Die schlimmsten Befürchtungen scheinen sich bewahrheitet zu haben: Über der ehemaligen Brauerei in der alten Königsstadt weht eine rote Fahne. Hoch oben wurde sie an der Spitze des Turms aus gelbem und rotem Backstein befestigt, der alle anderen Industriebauten auf dem Gelände im südlichen Prenzlauer Berg überragt. Als die Ex-Brauerei im Jahr 2003 von einer Genossenschaft gekauft wurde, hatte sich manche gesorgt, nun käme der Kommunismus zurück in den Osten Berlins. Doch von der roten Fahne abgesehen herrscht wenig Kommunenstimmung.

Klaus Lemmnitz sitzt in einem modern eingerichteten Besprechungsraum im ersten Stock des ehemaligen Eismaschinenhauses der Brauerei. Der Vorstandsvorsitzende der Genossenschaft Gewerbehof Saarbrücker Straße trägt Glatze zum Vollbart und Bauchansatz zum Polohemd. Als Vermieter von Süßwaren- und Kondomautomaten kam er Anfang der 1990er Jahre in die alte Königsstadt. Heute verteilt er Hochglanzbroschüren.

„Gegründet wurde die Genossenschaft 1995 von zwanzig Firmen, die alle ihren Sitz auf dem Gelände hatten“, erzählt Lemmnitz. Fünf Jahre nach der Wende seien die Besitzverhältnisse immer noch ungeklärt gewesen, die Unternehmen hätten sich vor Rückübertragungsansprüchen gefürchtet. „Einige hatten Verträge, die nur für einen Monat galten“, erinnert sich Lemmnitz. „Wir wollten Planungssicherheit und dachten, gemeinsam könnten wir unsere Interessen besser durchsetzen.“

Erst sollte ein Gewerbeverein gegründet werden. Doch eine Frau aus Frankfurt am Main habe das Genossenschaftsmodell ins Spiel gebracht. „Vielleicht müsst ihr das Gelände eines Tages kaufen, meinte sie zu uns. Wir haben darüber nur gelacht“, sagt Lemmnitz. Letztlich habe man sich aus einem anderen Grund für die Genossenschaft entschieden: „Das Gleichheitsprinzip war uns sehr wichtig, und in einer Genossenschaft hat jeder eine Stimme – egal ob alt, jung, ob aus West- oder Ostdeutschland.“

Zwei Jahre später wurde das Areal mit den fünf Industriebauten zu Landeseigentum erklärt, die Mieter durften bleiben. Doch die Ruhe währte nur kurz. „Das Land brauchte Geld und wollte sein Tafelsilber verkaufen“, meint Lemmnitz. Der Einstieg eines großen Investors hätte vermutlich das Ende des Gewerbehofs mit seinen zahlreichen kleinen Unternehmen bedeutet. Daher entschloss sich die Genossenschaft, selbst zuzuschlagen.

Kaum hatte sie ihr Kaufinteresse verkündet, regte sich Widerspruch. „Wir hatten Probleme mit der CDU, für die eine Genossenschaft gleichzusetzen war mit der DDR und damit dem Kommunismus“, so Lemmnitz. Dem Einsatz des Pankower SPD-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Thierse und der damaligen Wirtschaftsstadträtin des Bezirks, Almuth Nehring-Venus von der Linkspartei, sei es zu verdanken, dass die Genossenschaft letztendlich den Zuschlag bekommen habe.

Der Pankower Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD) interpretiert die Situation etwas anders. Widerstände in der Politik habe es eher auf Landesebene gegeben, wo im Sinne der Vermögensaktivierung der Verkaufserlös an erster Stelle gestanden hätte. „Die Pankower Bezirksverordnetenversammlung und das Bezirksamt haben sich für den Verkauf an die Genossenschaft eingesetzt.“

Für 1 Million Euro wechselte das Areal 2003 letztendlich den Besitzer. 300.000 Euro konnte die Genossenschaft an Eigenkapital aufbringen, der Rest kam von der Berliner Volksbank, die damals auch gleich selbst Genossenschaftsmitglied wurde. „Wir unterstützen immer gerne Projekte, die wie wir die genossenschaftlichen Werte verkörpern“, sagt Volksbank-Sprecherin Nancy Mönch. Zudem habe man natürlich auch eine sichere Geldanlage gewittert. „Das Konzept sah eine phasenweise Instandsetzung des alten Brauereigeländes vor. Die finanziellen Risiken waren kalkulierbar.“

Nach und nach wird saniert

In vielen kleinen Bauabschnitten treibt die Genossenschaft seitdem die Sanierung voran. „Ökologie und Nachhaltigkeit sind uns wichtig, weshalb wir etwa auf eine gute Wärmedämmung achten“, meint Lemmnitz. Investiert habe man bislang 6,5 Millionen Euro, noch einmal so viel würden es wohl werden bis zur Fertigstellung 2015. Auch hier liefe die Finanzierung zu 30 Prozent aus Eigen- und zu 70 Prozent aus Fremdmitteln. „Zwei Drittel der Arbeit ist geschafft. Aber schon jetzt sind wir vollständig ausgebucht.“

Denn die Genossenschaft ermöglicht es Unternehmen mitten im dicht besiedelten und stetig teurer werdenden Prenzlauer Berg, günstig Gewerbeflächen zu mieten. Während etwa in der benachbarten Backfabrik 10 Euro pro Quadratmeter fällig werden, zahlt man in der alten Königsstadt je nach Nutzung und Sanierungsstand zwischen 2 und 8 Euro netto kalt.

„Wir gestalten dieses Viertel auch politisch“, meint Lemmnitz. Durch die günstigen Mieten sorge die Genossenschaft dafür, dass nicht alles produzierende Gewerbe an den Stadtrand gedrängt würde. Privaten Milieuschutz nennt er das. Außerdem schaffe man Arbeitsplätze. „Im Jahr des Kaufs haben hier 80 Menschen gearbeitet, heute sind es 250. Unser Ziel sind 400 Beschäftigte.“

Beim Bezirk sieht man das etwas anders. „Ich habe nicht den Eindruck, dass es aufgrund vermeintlicher Gentrifizierungseffekte keine Handwerksbetriebe im Prenzlauer Berg mehr gibt“, erklärt Bürgermeister Köhne. Generell halte man aber sehr viel von derartigen Projekten, mit denen sich die Bürger in die Gestaltung ihrer Stadt einbrächten.

Es gilt das Solidaritätsprinzip: Man unterstützt sich gegenseitig

40 Unternehmen, vom Fahrradrikscha-Betreiber über Geigenbauer und Theaterdekorateure bis hin zu Designern, haben ihre Büros und Werkstätten auf den 8.000 Quadratmetern Gewerbefläche. Die Genossenschaft hat 43 Mitglieder, von denen jedes mindestens 41 Anteile im Wert von je 250 Euro hält.

Stabile Mieten

Einer der Genossen ist die Firma Archimedes, die Ausstellungen konzipiert und umsetzt und seit drei Jahren in der alten Königsstadt residiert. Neben dem tollen Standort sei die ökonomische Sicherheit durch die stabilen Mieten wichtig, sagt Geschäftsführer Jörg Schmidtsiefen. „Durch die Genossenschaft bieten sich Gestaltungsmöglichkeiten; man kann das Ganze mitentwickeln.“ Erkannt haben diese Vorteile mittlerweile viele, sagt Lemmnitz: „Jeden Tag rufen bei uns Interessierte an, die Warteliste ist lang.“

Eine gute Weile ganz oben stand darauf Lorenz Huber. Der schlaksige Tänzer mit dem Pferdeschwanz hatte es auf die mit 3.500 Quadratmetern zwar mit weitem Abstand größte, aber lange ungenutzte Fläche der Anlage abgesehen: die Kellergewölbe. Bisher hatten nur vereinzelt Filmteams die schummrige Atmosphäre der nasskalten Räume genutzt. Huber bietet nun mit seiner Frau Tanzperformances und Ausstellungen unter dem Titel „Galerie unter Berlin“ an, Eröffnung war vor drei Wochen. „Es gibt im Kiez kaum noch Freiräume für Menschen mit kleinem Budget“, sagt Huber. Ohne die Genossenschaft sei ihr Engagement nicht möglich.

Doch als Wohltätigkeitsverein will sie Lemmnitz nicht verstanden wissen: „Wer bei uns nur aus Idealismus eintritt, ist fehl am Platz.“ Man müsse eine gewinnorientierte Firma betreiben, um Genosse zu werden und in die alte Königsstadt zu ziehen. Es gelte schließlich das Solidaritätsprinzip, nach dem man sich gegenseitig unterstütze, aber eben auch für die Fehler der anderen geradestünde. „Hier ist seit 2003 niemand mehr pleitegegangen. So soll es bleiben.“