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Archiv-Artikel

Völlig inhaltsleer

Die großen Parteien werben mit bunten Bildern, die NPD punktet mit knallharten Themen

„Den Aufwand, den die NPD betreibt, kann die PDS nicht toppen. Dafür fehlen uns die Mittel.“

VON ASTRID GEISLER

Fragt man den Sozialdemokraten Uwe Schultz dieser Tage nach der politischen Lage, dann sagt er: „Wenn ich könnte, würde ich auswandern.“ Eine durchaus erstaunliche Antwort. Denn Schultz ist Landtagskandidat der SPD, in fünf Tagen wird gewählt und in seinem Wahlkreis in Ostvorpommern droht die NPD besser abzuschneiden denn je.

Doch der pensionierte Berufsschullehrer aus Anklam hat den Wettlauf mit den Rechtsextremen um die Gunst der Wähler inzwischen aufgegeben. „Es ist absolut frustrierend“, sagt er. „Viele Leute sind nicht angekommen in der Demokratie. Viele fühlen sich vergessen und mit ihren Sorgen nicht ernst genommen. Die sind kaum noch gewillt, sich auf andere Argumente einzulassen.“

Wenige Tage vor der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern spricht vieles dafür, dass der NPD erstmals der Einzug ins Schweriner Schloss gelingt. Es wäre der erste große Erfolg seit der Wahl in Sachsen vor zwei Jahren. In der jüngsten Umfrage von Infratest dimap liegen die Rechtsextremen bei 6 Prozent, das ZDF-Politbarometer sieht sie sogar bei 7 Prozent.

Überraschend ist das nicht. Bereits bei der Bundestagswahl 2005 erzielte die NPD in Regionen wie Ostvorpommern oder im Uecker-Randow-Kreis vielerorts zweistellige Ergebnisse. Damals war die Wahlbeteiligung vergleichsweise hoch, die Mittel der NPD im Nordosten bescheiden. Davon kann jetzt keine Rede mehr sein. Seit Monaten steht das die Wahl ganz oben auf der Prioritätenliste der NPD. Dutzendweise traten militante Neonazis der Partei bei, unterstützen deren Kampagne. Nun dürfen die demokratischen Parteien das Ergebnis bewundern – und manchem Wahlkämpfer verschlägt es die Worte. „Der Wahnsinn“, sagt SPD-Kandidat Uwe Schultz. Auch PDS-Landeschef Peter Ritter räumt ein: „Den Aufwand, den die NPD hier betreibt, können wir nicht toppen. Dafür fehlen uns die Mittel.“

Unterstützt von Helfern aus Sachsen und Schleswig-Holstein haben die Rechtsextremen in den vergangenen Wochen die Städte und Dörfer des Landes mit Plakaten überzogen. Parteivize Holger Apfel nahm Quartier in der Pension am Anklamer Flugplatz – damit der NPD kein Patzer unterläuft in den für sie besonders vielversprechenden wirtschaftlich brachliegenden, von Abwanderung und Arbeitslosigkeit gezeichneten Kreisen im Osten.

Stolz berichtet der NPD-Landtagskandidat Michael Andrejewski, allein in seiner Anklamer „Verteilgruppe“ für die Landtagskampagne seien fünf Helfer aktiv. „Wir verteilen hier massiv jeden Tag.“ Sein SPD-Konkurrent Schultz hat nach eigenen Angaben insgesamt „zwei bis drei“ Leute, die ihn unterstützen: „Mehr war nicht drin“, sagt er. Einen einzigen Juso gibt es in der 14.000-Einwohner-Kreisstadt. „Unsere Parteistruktur“, klagt Schultz, „ist einfach zu schwach.“

„Selbst mit geschlossenen Augen kommt man hier nicht mehr an der NPD vorbei“

Der Rechtsextremismus-Fachmann Günther Hoffmann vom Anklamer Verein „Bunt statt Braun“ lebt in einem Weiler wenige Kilometer weiter. „Inzwischen“, bilanziert er sarkastisch, „kommt man hier selbst mit geschlossenen Augen nicht mehr an der NPD vorbei.“ Hoffmann wirft den demokratischen Parteien vor, mit einem „gehörigen Maß an Naivität“ in den Wahlkampf gegangen zu sein. Sein Eindruck: Die Plakate der NPD kommen bei vielen Menschen bestens an. Schließlich thematisierten die Rechtsextremen in ihrer Kampagne alltägliche Sorgen der Bürger wie Arbeitslosigkeit oder Schulschließungen, erklärt Hoffmann. Die Plakate der demokratischen Parteien hingegen seien meist „völlig inhaltsleer“.

Folgt man der Rechnung des Greifswalder Politikwissenschaftlers Hubertus Buchstein, dann müssen die Rechtsextremen nicht einmal mehr zusätzliche Wählerstimmen gewinnen – es reiche bereits aus, dass die Wahlbeteiligung extrem niedrig ausfalle. Daher sei entscheidend, ob am Sonntag die Unentschlossenen zur Wahl gehen – und ihre Stimme doch einer demokratischen Partei geben.

Der Rechtsextremist Andrejewski, der die NPD bereits seit 2004 im Anklamer Stadtrat und Kreistag vertritt, sieht dem Wahltag entspannt entgegen. Bereits im Frühjahr hatte der Jurist im taz-Gespräch eingeräumt, es würde ihm „nichts ausmachen“, wenn der Sprung in den Landtag misslinge: „Für die Bundespartei wäre das ein Schlag, wir würden uns schütteln und weitermachen.“ Andrejewskis eigentliche Ziele liegen in der ferneren Zukunft und in der Provinz: Gemeinsam mit den Neonazi-Kameradschaften will er die Bürgermeisterwahl 2018 in Anklam gewinnen, ein „eigenes national dominiertes Territorium“ errichten. Ein Posten im Landtag, sagt der NPD-Mann unverblümt, wäre für ihn ohnehin „nur Mittel zum Zweck“.