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Archiv-Artikel

Schulen stehen auf dem Index

Haupt- und Grundschulen in strukturschwachen Städten erhalten durch einen Sozialindex mehr Lehrerstellen. Die Schulräte und DirektorInnen fürchten sich nicht vor einer Stigmatisierung

VON MORITZ SCHRÖDER

Haupt- und Grundschulen in NRW freuen sich über neue Lehrkräfte: „Das haben wir schon immer gefordert“, sagt Hauptschuldirektor Gernot Samsel aus Gelsenkirchen. Die Ruhrgebietsstadt ist auf dem Sozialindex, den das Schulministerium zum ersten Mal für die Verteilung zusätzlicher Lehrerstellen eingerichtet hat, mit 100 Punkten an erster Stelle und bekommt deshalb nun mehr LehrerInnen. In den Index sind Sozialdaten wie Arbeitslosigkeit, Sozialhilfequote, Migrantenanteil und die Wohnverhältnisse mit eingeflossen. Je höher ein Kreis oder eine Stadt im Index liegt, desto mehr der insgesamt 1.100 Stellen bekommt sie vom Ministerium zusätzlich zugeteilt.

Mit den neuen Vollzeitstellen sollen vor allem die sozialen Risiken der Auflösung der Grundschulbezirke aufgefangen werden. Ab dem nächsten Schuljahr dürfen Eltern in NRW die Grundschule für ihre Kinder frei wählen. Bildungsexperten hatten kritisiert, dass dadurch so genannte „Ghettoschulen“ entstünden, weil reiche Eltern ihre Kinder lieber auf entferntere Schulen mit besserem sozialen Umfeld schickten: „Mit der Maßnahme wollen wir den fairen Wettbewerb zwischen den Grundschulen sichern“, sagt Andrej Priboschek, Sprecher von Schulministerin Barbara Sommer (CDU). „Auch bei den Hauptschulen ist der Nachholbedarf besonders groß“, so Priboschek. Daher werden auch sie in den nächsten Monaten mehr Stellen erhalten. Gelsenkirchen etwa hat Anspruch auf 11,6 Hauptschul- und 17,9 Grundschulstellen zusätzlich.

Die Schulbehörden vor Ort freuen sich: „Wir brauchen mehr kompetente Lehrer“, sagt etwa Schuldezernent Manfred Beck aus Gelsenkirchen. Wegen des hohen Migrantenanteils in der Stadt gebe es starke Sprachprobleme der SchülerInnen. Auch SchulleiterInnen in seinem Zuständigkeitsbereich loben die Entscheidung von Ministerin Sommer: „Bei uns wird nicht gekürzt. Das ist gut, weil wir dadurch unsere Förderstunden weiterhin anbieten können“, sagt Hauptschulleiterin Ulrike Rupieper. Sie bekommt zwar nicht mehr LehrerInnen, muss aber nicht wie vorgesehen Stellen abtreten. Laut Schulrätin Gisela Opitz aus der Stadt Hagen – ebenfalls im vorderen Drittel des Index – können die Folgen der wegfallenden Schulbezirke durch die Sozialstatistik allerdings nicht aufgehoben werden. Schon jetzt hätten einzelne Schulen einen so schlechten Ruf, dass einige Eltern beim Schulamt anfragen, wann ihr Kind die Schule wechseln könnten.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft fürchtet außerdem, dass die neuen Lehrkräfte nicht da ankommen, wo sie gebraucht werden: „Die Stellen werden erfahrungsgemäß für Vertretungsunterricht eingesetzt, nicht für den zusätzlichen Förderbedarf“, sagt Berthold Paschert, Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in NRW. Schuldezernent Beck beklagt, dass gleichzeitig an anderer Stelle gespart wird. So entstünden der Stadt Gelsenkirchen 1,2 Millionen Euro zusätzliche Kosten, weil das Land dann fehlende Elternbeiträge für Kindertagesstätten nicht mehr ausgleicht.

Das NRW-Schulministerium möchte den Index in den kommenden Jahren nach einzelnen Schulen aufschlüsseln. Dann müsste sich auch eine Grundschule aus Gelsenkirchen mit einer aus Düsseldorf vergleichen lassen. Ob die Liste veröffentlicht wird, ist noch nicht beschlossen. Für den Ruf der Schulen kann das aber entscheidend sein, was ein Blick nach Frankreich zeigt. Dort steht ein solcher Sozialindex momentan in der Kritik. SchulleiterInnen beobachten, dass zahlreiche Eltern ihre Kinder wegen der schlechten sozialen Bewertung von der Schule nehmen. Trotzdem hätte Direktorin Rupieper kein Problem mit einem öffentlichen Index: „Solange die Förderung bei uns verbessert wird, wären auch die Eltern nicht entsetzt über unser Abschneiden auf dem Index.“