: Jugend ohne Chance
Im Wahlkampf sind die Jugendverbände der Parteien für die Infostände und die gute Stimmung zuständig. Geht es aber um aussichtsreiche Sitze im Abgeordnetenhaus, sind sie unterrepräsentiert
VON FELIX LEE
Unter der Parteijugend hat Franziska Eichstädt-Bohlig ganz sicher nicht die meisten Fans. „Zu wenig kiezbezogen“, findet ein Mitglied der Grünen Jugend, der namentlich nicht genannt werde möchte. „Zu realo“, sagt ein Zweiter. Und eine Dritte ergänzt: „Zu alt.“
Dabei ist die Außendarstellung eine ganz andere: Zur Auftaktfeier des Wahlkampfes vor knapp vier Wochen in einer Friedrichshainer Turnhalle waren es junge Grüne um die 20 herum, die sich die Blöße gaben und zur Begrüßung ihrer Spitzenkandidatin in geschniegelten Anzügen am Eingang standen. „BBBBBerlin Grün“, riefen sie und hielten Buchstaben hoch, die zusammen „Franziska“ ergaben. Einer von ihnen war sogar bereit, Eichstädt-Bohlig das fehlende Geld fürs Taxi zu bezahlen.
Wer in diesen Tagen auf Berlins Straßen unterwegs ist, dem wird auffallen, dass es vor allem die Parteijugend ist, die sich für den Straßenwahlkampf ins Zeug legt. Kaum ein Stand, an dem die Wahlhelfer nicht unter 30 sind. Und auch wenn es darum geht, Plakate anzubringen, Flugblätter zu verteilen oder eines der diversen Wahlmobile fortzubewegen, mit denen inzwischen eine ganze Reihe von Kandidaten um Aufmerksamkeit buhlen, ist es stets die Parteijugend, die für diese schweißtreibende Rackerei herhält.
Im neuen Parlament wird der Dank nicht zum Ausdruck kommen. Parteiübergreifend sind Vertreter der Jungen Union (JU), Jungen Liberalen (JuLis), Jungsozialisten (Jusos), der Grünen Jugend und PDS-Jugend Solid auf den aussichtsreichen Listenplätzen eher unterrepräsentiert. Gerade einmal 2 junge Abgeordnete von den erwarteten 20 Plätzen wird es bei den Grünen geben. Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel rechnet mit 4 aktiven Jusos in der neuen SPD-Fraktion. Der JuLi-Vorsitzenden Daniela Langer fällt spontan niemand ein, der für die FDP-Jugend sicher ins Abgeordnetenhaus ziehen wird. Solid-Sprecher Haimo Stiemer weiß von einer Solid-Aktivistin: Mari Weiß (23) aus Lichtenberg. Sie kandidiert auf Platz 17. Und der JU-Landesvorsitzende Sven Rissmann glaubt, dass 8 bis 10 Mitglieder der Jungen Union ganz sicher im nächsten Abgeordnetenhaus sitzen werden. Das hört sich zwar viel an. Doch der 28-Jährige gibt selbst zu, dass einige von ihnen nicht von der Jungen Union gestellt werden. Ins Rennen wurden sie im Auftrag ihrer jeweiligen CDU-Kreisverbände geschickt.
Auch wenn die Parteijugend in Programmkommissionen stets vertreten ist – dass ihre Vertreter nicht auch stärker mit wichtigen Posten beglückt werden, dürfte nicht an mangelnder Reife liegen. Denn so jung sind viele von ihnen gar nicht mehr. Außer der Grünen Jugend, bei der das maximale Alter der Mitglieder offiziell bei 28 liegt, dürfen sich die Mitglieder in den anderen Verbänden noch bis 35 mit dem Zusatz „Jugend“ schmücken. Viele Jusos weisen eine parteipolitische Laufbahn von 10 Jahren und mehr auf. Ein besonders aktiver Kern der Jungen Union hatte seine politische Sozialisation sogar im Zuge der deutschen Einheit.
Die wahren Gründe sind wohl eher politischer Natur. Vor allem bei den linken Parteien gelten ihre Jugendverbände nach wie vor als aufmüpfig. Bei der Grünen Jugend ist innerparteiliche Opposition Usus. Die Berliner Jusos fahren traditionell einen „strammlinken“ Kurs. Und Solid versteht sich als parteinah, besteht jedoch auf seine Eigenständigkeit zur Linkspartei – was bereits zur Gründung einer neuen Parteijugend geführt hat, die der Mutterpartei gegenüber loyaler eingestellt ist.
In Wahlkampfzeiten tut innerparteiliche Rebellion aber nichts zur Sache. Und so bleibt die Jugend vor allem für eins gut: für die mühselige Arbeit vor dem Wahlstand.
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