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Archiv-Artikel

Ratten in der Nacht

Die Quadrienale 2006 ehrt Bruce Nauman, den Pionier der Videokunst und ersten Kunstpreisträger der Stadt Düsseldorf, mit einer Einstiegs-Ausstellung für Nicht-Kenner

Stereotyp stampfen zwei bunte Clowns mit ihren Schuhen auf den Boden. Schreien ohne ersichtlichen Grund immer und immer wieder „No“. Der aggressive Geräuschpegel von Bruce Naumans Videoarbeit „Double No“ (1982) füllt in Düsseldorf das NRW-Forum Kultur und Wirtschaft. Übertönt alle anderen installierten Lautsprecher, auch die Loop-Laute von „Raw Material-BRR“ (1990) im Raum nebenan mit der selbst archaisch laut brabbelnden Mundpartie Naumans. Der scheue US-amerikanische Künstler (65) wird von der Kunstszene geliebt, er liebt eher Geräusche. Es war das sonore Brummen eines Umspanngerätes, das ihn vor zwei Jahren doch davon überzeugte, eine Arbeit für die riesige Turbinenhalle der Tate Modern zu wagen.

Dass Naumann nun seine Arbeiten in die NRW-Landeshauptstadt schickt, liegt sicher mit am ersten Kunstpreis der Stadt, der ihm verliehen wurde. Mit 55.000 Euro ist das immerhin einer der höchstdotierten Kunstpreise im Bereich Bildende Kunst. Dazu liebt Nauman seit Jahrzehnten die rheinische Metropole. 1968 fand dort mit „Six Sound Problems for Konrad Fischer“ seine erste Galerie-Ausstellung in Europa statt. Der Pionier der Video- und Performance-Kunst stellte bereits damals in der Avantgarde-Galerie eine endlos laufende Geräuschkulisse aus, bei der das Tonband die Gerätespule verlies und über einen entfernt stehenden Stuhl geleitet wurde, den der Künstler täglich verrückte. Zur Eröffnung kamen nach Naumans Angaben außer zwei japanischen Studenten und ihm selbst nur Gerhard Richter.

Die Kunstpreisausstellung „Mental Exercices“ gehört zum kulturellen Megaevent Quadrienale, die ebenfalls in diesem Jahr erstmals in der Rheinmetropole ausgerichtet wird und unter anderen Ausstellungen zu Caravaggio, Francis Bacon und Teresa Margolles präsentiert. Die Nauman-Show ist eine Miniatur-Retrospektive, quasi eine First-Step-Ausstellung für Kunstinteressierte, die den mehrfachen documenta-Teilnehmer nur aus kuratierten Themenausstellungen kennen – aktuell ist er auch bei „Das Achte Feld“ im Kölner Museum Ludwig zu sehen. Neben den Videos zeigt Nauman in Düsseldorf zwei Neon-Arbeiten („Double Slap in the Face“, 1985 und „Double Poke in the Eye II“, 1985), Performance Korridore, ein paar frühe Zeichungen und die „Body Pressure“-Aktion von 1974, für die das Museum nur eine leere Wand und ein Poster für die Anweisungen stellen muss, nach der sich Besucher an die Wand zu pressen haben – eine geistige Übung, mit der sie ein fester Teil der Arbeit werden.

Nauman erschüttere das „blinde Vertrauen in eingeübte Mechanismen und vorgebliche Konstanten unserer Wahrnehmung“, sagte Düsseldorfs Oberbürgermeister Joachim Erwin (CDU) bei der Preisverleihung. Und Laudator Uwe M. Schneede, der ehemalige Leiter der Kunsthalle in Hamburg, nannte Naumans Werk „das vielleicht sperrigste weit und breit“.

Das stimmt zwar, dennoch hat bei seinen Videos, die früher eher abstrakte Fragen umkreisten – indem sie handelnde Personen in extremen Situationen zeigten –, eine Entwicklung zu narrativen Strukturen stattgefunden. Nauman zeigt nicht mehr den menschlichen Körper, der sich in einem dreidimensionalen Raum behaupten will, sondern eher den Raum, der diese Prozesse möglich macht. Die Wahrnehmung in seinen frühen Videos schwankte zwischen Macht- und Ohnmachtserfahrungen. Der Gegensatz zwischen Zuschauen und Handeln kollaborierte. Die ZuschauerInnen sind als Wahrnehmende zuvor immer schon Handelnde gewesen.

Bis heute kämpft die Performative Kunst einerseits gegen die Passivität des kulturellen Konsumismus – gleichzeitig passt sie aber als singuläres Ereignis hervorragend in die zeitgenössische Eventkultur. So hat die Präsentation von Bruce Nauman, immerhin weltweite Nummer drei im Capital-Kunstindex, auch Unterhaltungswert jenseits hehrer Kunsttheorie.

Der Kunstpreisträger zeigt daher in Düsseldorf – wie das Tüpfelchen auf dem i – neben der Werkschau aus den 1960er Jahren (exemplarisch seine selten gesehene Acht-Minuten-Slow-Motion „Black Balls“, 1969 oder die Endlosschleife „Bouncing in the corner“, 1968) auch sein neustes Werk. In „Mapping the studio (Office Edit I)“ hat er mit einer Infrarot-Kamera nächtelang sein Atelier in New Mexico abgefilmt. Die grün schimmernde Ansicht, sie ähnelt der Kriegsberichterstattung vom Irakkrieg, zeigt den Raum nachdem Bruce Nauman ihn abends verlassen hat, als Standbild, das ja keines ist. Die unsichtbar vergehende Zeit wird nur sichtbar, wenn ab und zu Geschöpfe der Nacht ihn blitzartig durchwandern. Von den Geräuschen ist in Düsseldorf nichts zu hören, die Clowns in „Double No“ schreien noch. PETER ORTMANN

Bis 14. Januar 2007