Ein Brief an Angela

GOLF Ryder Cup? Was ist denn das? 14 Vorurteile und 14 Antworten von der Samentüte bis zum Reflexpatriotismus

AUS NEWPORT BERND MÜLLENDER

Ach Golf, dieses müde Snobistenspiel, bei dem mehrheitlich ältere Herrschaften …

Das ist doch das Klischee aus den 60er Jahren und längst nicht mehr Realität in 600 deutschen Golfklubs mit über einer halben Million Aktiver, mehr als zehnmal so viele übrigens wie 1985. Mittlerweile schwingt ja selbst Shaun das Schaf in der „Sendung mit der Maus“ den Golfschläger. Hier geht es um den Hochleistungssport Golf. Am Wochenende findet im walisischen Newport der Ryder Cup statt. Das Fernsehzuschauerinteresse wird weltweit nur von Fußball-Weltmeisterschaft und Olympia überboten. Und nicht über Wochen, sondern auf 3 Tage à 8 Stunden komprimiert.

Raider Cup, Twix Cup?

Ryder. Benannt nach Samuel Ryder, einem englischen Samenhändler, der den Cup 1927 stiftete. Der Mann beglückte die Welt mit den kleinen Samentütchen für jedermann, die ihn steinreich machten und unsere Balkone heute noch schön.

Und was soll am Samenhändlerpokal so anders und wichtig sein?

Fast alles. Zwei Mannschaften mit 12 gegen 12 treten gegeneinander an: USA gegen Europa, das Kontinentalduell, manche sagen auch Erdteilkampf Alte gegen Neue Welt. Es gibt keinen Cent Preisgeld, es geht allein ums Prestige.

Und der Ball muss nicht ins Loch?

Doch, schon. Aber es gibt andere Spielformen als gewohnt. Immer sind es direkte Duelle, Einzel oder Doppel. Das Loch muss gewonnen werden, egal mit welcher Schlagzahl. Im Doppel spielen manchmal zwei Spieler abwechselnd einen Ball. Pro Lochgewinn gibt es einen Punkt, wer 9,5 Punkte hat, gewinnt das Duell. Wenn das nach 17 Loch schon so weit ist, muss der Ball im 18. tatsächlich nicht mehr ins Loch. Ein noch so großer Turniersieg ist ein Triumph, ein Ryder-Cup-Gewinn aber ein Ehrenorden auf Lebenszeit. Und die Spieler drehen bisweilen völlig enthemmt durch.

Die feinen Golfer?

Von wegen fein. Man kämpft um den gemeinsamen Sieg. Wenn es um das eigene Land geht, sind die Amis ja gewohnt eigen, sagen wir: reflexchauvinistisch. Da sind Spieler und Zuschauer in der Vergangenheit schon richtig unfair geworden, haben Gegner beschimpft oder in der Konzentration gestört – von wegen fairer Sportsgeist. Und auch hier in Celtic Manor haben die USA das Golfspiel gleich wieder mit Kriegsweihen versehen. Kapitän Corey Pavin lud den Irak-Bomberpiloten und US-Kriegshelden Dan Rooney als Teammotivator nach Wales, „ein sehr spezieller Typ und großer Patriot“. Und Spieler Bubba Watson versprach gleich hinterher, für seinen krebskranken Vater aufzuspielen, einen alten Vietnamveteranen: „Ich werde vermutlich nie in der Army sein dürfen wie er, also nehme ich den Ryder Cup, um es meinem Vater gleichzutun.“ Solch konstruierte Parallelen hat Europa nicht zu bieten. Dafür ist es ist eine ganz aparte Konstellation, für einen Kontinent zu spielen. Da jubelt der Schwede mit dem Italiener, der Ire mit dem Nordiren. Man tritt unter EU-Flagge an, die Hymne ist Beethovens Neunte in der Instrumentalversion „Ode an die Freude“.

Einmalig, oder?

Solche Gemeinschaftsgefühle kennen die Golf-Individualisten sonst nicht. Die eleganten Schlägerschwinger werden zu Golfprolls, zu Hools zwischen den Löchern. Wenn ein langer Put ins Loch fällt, wird gebrüllt, als sei man im Fußballstadion.

Ja, aber da spielen doch die gleichen alten Männer wie sonst?

Wieso alt? Da sind ein paar Veteranen über 35 dabei. Die beiden jüngsten zählen 21 Lenze: der US-Boy Rickie Fowler und der Nordire Rory McIlroy, beide milchgesichtige und langhaarige Haudraufs, die Frontmänner jeder Teenie-Combo sein könnten. Bei Europas Siebennationenteam spielt auch dieser wunderbare Spanier Miguel Angel Jiménez (46). Mit seinem verlebten Rauchergesicht und dem mächtigen Pferdeschwanz wirkt er wie eine Figur zwischen Philosoph, Zuhälter und Penner. Wenn der vor 30 Jahren in einen spießigen deutschen Golfclub gekommen wäre, hätte man ihn wegen Etikette-Beleidigung erstmal zum Frisör geschickt oder gleich nach der Polizei gerufen.

Tiger Woods ist auch dabei?

Ja, obwohl er sportlich über die US-Punktetabelle nicht qualifiziert war – nach Ehedrama, seinen gefühlt 387 Affairen, Problemen mit seinen Werbepartnern und oft grauenvollem Spiel. Aber beide Teamchefs vergeben Wildcards, und die Legende Woods hat von US-Käptn Corey Pavin eine bekommen. Viele sagen, Woods Dabeisein schwäche die Amerikaner. In seinen bislang fünf Ryder-Cup-Auftritten hat der Nochweltranglistenerste nur 10 von 25 eigenen Matches gewonnen und viermal im Gesamtergebnis verloren. Als er 2008 verletzungsbedingt fehlte, gewannen die USA prompt, erstmals nach neun Jahren. Ihm fehle Teamfähigkeit, heißt es, Woods kann nur für sich. Mysterium Ryder Cup.

Und aus Deutschland? Bernhard Langer ist ja wohl zu alt.

Trotz 53 Lenzen wäre Langer fast nominiert worden. Es wäre das 11. Mal gewesen – und eine golf-gerontologische Sensation. Und dann im Duett mit dem neuen deutschen Golfkometen …

ach, dieser Kleiner, Keimer?

Martin Kaymer, 25 Jahre alt und aus Düsseldorf. Der Überflieger des Jahres aus Europa. Drei Turniersiege, darunter im August eines der Majors.

Wo und wie oft wird dieser Ryder Cup denn immer gespielt?

Seit 1927 abwechselnd alle zwei Jahre, lange nur in den USA oder Großbritannien. Danach auch mal in Irland, und 1997 in Europa das einzige Mal soghar jenseits der Inseln, im spanischen Valderrama. 2018 will Deutschland ran, in Neuburg bei Ingolstadt. Aber es fehlt noch an Bundesbürgschaften.

Wäre ja auch noch schöner, wenn der Steuerzahler das finanziert!

Ganz so einfach ist es nicht. Es geht nicht so sehr ums Geld. Der Veranstalter Ryder Cup Europe erwartet, dass ein Land sich vorbehaltlos hinter eine Bewerbung stellt: Politik, Wirtschaft, die Region, die Bürger. Und da ist Regierungszaudern eine fatale Geste. Bernhard Langer hat Angela Merkel deshalb einen Brief geschrieben, er will mal mit ihr reden. Verdient wird ohnehin. Ryder Cup ist Big Business. Das deutsche Bewerberkonsortium rechnet kühn mit 65 Millionen Mehrwertsteuereinnahmen. Ein Ryder-Cup-Sieg Europas mit einem womöglich überragenden Kaymer würde dem deutschen Golf einen Schub geben – auch für die Bewerbung 2018. Die Vergabe erfolgt 2011.

Aber für Wales ist der Ryder-Cup-Routine?

Von wegen. Im kleinen Wales wurde noch nie gespielt. Man spricht hier nur von „The Event“, dem Ereignis. Der Eintrittskarten sind bereits seit Jahren vergriffen, Hotels haben ihre Preise im Schnitt verdreifacht, Privatleute ihre Häuser verlassen und für 20.000 Pfund und mehr pro Woche vermietet.

Und wer gewinnt?

Bei den Buchmachern sind die Europäer leicht favorisiert. Sie gewannen nach jahrzehntelanger Dominanz der USA die letzten fünf von sieben Begegnungen. Aber der Ryder Cup hat so viele eigene Gesetze, dass der DFB-Pokal im Fußball wie ein rechtsfreier Raum wirkt.