: Auf dem Maidan traut keiner der neuen Regierung
REAKTION Viele Ukrainer unterstützen aber die Teilmobilisierung: 20.000 Rekruten sollen in den nächsten sechs Wochen eingezogen und weitere 20.000 in die neue Nationalgarde aufgenommen werden. Hoffnung auf mehr Hilfe aus Europa
KIEW taz | Nach dem Referendum auf der Krim hat die amtierende ukrainische Regierung mit Billigung des Parlaments eine Teilmobilisierung verkündet. 20.000 Männer sollen in den nächsten 45 Tagen im Rahmen der Teilmobilisierung eingezogen werden, weitere 20.000 sollen die neu gegründete Nationalgarde bilden. Auf der anderen Seite sollen nach verschiedenen Schätzungen derzeit rund 60.000 russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine und auf der Krim stehen.
In einer ersten Reaktion auf das Referendum forderte die Partei „Udar“ von Vitali Klitschko Sanktionen gegen die Separatisten und deren Unterstützer. Unter anderem, so Klitschko, sollten die Konten von Personen eingefroren werden, die dem Separatismus Vorschub leisten. Außerdem solle der ukrainische Botschafter in Moskau zu Konsultationen nach Kiew beordert und der Vertrag zur Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte gekündigt werden.
„Das war doch kein Referendum“, schimpft der 25-jährige Kirill und gibt wieder, was viele denken: „Das war bestenfalls eine offizielle Meinungsumfrage.“ Und die sei massiv gefälscht worden. Wer für den Anschluss an Russland gestimmt habe, gehöre der russischen Mehrheitsbevölkerung der Halbinsel an, wo sie etwa 60 Prozent der Bevölkerung stelle. Die restlichen Bevölkerungsgruppen hätten das Referendum boykottiert, auch einige Russen wollten keinen Anschluss an Russland.
„Das sind doch auch alles Banditen“
Kirill hatte es erfolgreich geschafft, sich mit einem gekauften Attest vor der Armee zu drücken. Inzwischen bedauert der Programmierer seine Entscheidung. „Ich bin zwar kein guter Schütze, aber mit meinen EDV-Kenntnissen wäre ich sicherlich ein guter Soldat in einer Logistik-Einheit.“
Nur noch wenige harren am Tag nach dem Referendum auf dem Maidan aus. Manche haben sich der neu gegründeten Nationalgarde angeschlossen. Niemand auf dem Maidan vertraut der neuen Regierung. „Das sind doch auch alles Banditen“, meint ein Mann der ersten Stunde. „Man müsste mal eine richtige Säuberung durchführen, allen, die Dreck am Stecken haben, den Prozess machen, und die ‚Partei der Regionen‘ muss verboten werden.“ Das bezieht sich auf die Partei des früheren Präsidenten Wiktor Janukowitsch.
Nicht nur zwischen Regierung und Maidan, auch unter den Aktivisten ist das Verhältnis gespannt. Tagsüber biete der Maidan ein friedliches Bild, doch nachts komme es immer wieder zu Messerstechereien und Schusswechseln zwischen rivalisierenden Gruppen, sagt ein Mann aus Lwow.
In der Mobilisierungsfrage stehe man allerdings hinter der Regierung. Sein Zeltnachbar kritisiert deren „lasche“ Reaktion: „Ausgerechnet jetzt verlangen sie von allen Bürgern, die Waffen abzugeben. Ja, womit sollen wir denn kämpfen, wenn die Russen kommen? Man kann doch nicht das eigene Volk entwaffnen!“ Einen Krieg mit Russland wolle man aber auf alle Fälle vermeiden, erklärt Roman vom Pressezentrum der „Kräfte der Selbstverteidigung des Maidan“. Den Vorschlag des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier, mehrere hundert Experten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in die Ukraine zu schicken, um zu beobachten, ob es weitere Destabilisierungsversuche in dem Land gibt, begrüßt er: „Das ist gut, aber das reicht nicht. Ihr müsst uns helfen, der russischen Propaganda etwas entgegenzusetzen. Wir brauchen eure Präsenz hier, als Journalisten, Diplomaten, Studenten und natürlich als Soldaten. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich Nato-Truppen in der Ukraine aufhalten würden.“
Auch wenn alle vom Krieg reden, glaubt niemand, dass es morgen zum Krieg mit Russland kommt. „Die Krim hat schon immer ihr eigenes Süppchen gekocht“, meint Andrej aus Kiew. „Sollen sie doch gehen. Aber wenn Russland die Auseinandersetzungen im Osten des ukrainischen Festlandes zum Anlass nimmt, auch dorthin Truppen zu schicken, dann ist Krieg.“
BERNHARD CLASEN