BETTINA GAUSMACHT
: Im Prinzip offen

Grundsätzlich gegen Krieg und auch dafür, für Kapitalismus, aber irgendwie auch dagegen: Die Grünen sind längst für jeden wählbar geworden. Nun werden sie zur Volkspartei der eingebildeten Wilden und Unangepassten

Es herrscht eine gewisse Aufregung in der Republik. Jedenfalls in den Kreisen, die behaupten, sich für Politik zu interessieren. Der Grund: Die Grünen erleben einen bisher beispiellosen Aufschwung in Meinungsumfragen. Das ist ein hübscher Anlass, um die Frage zu erörtern, ob dieser Teil der Opposition zu einer neuen Volkspartei wird, die in die – sogenannte – bürgerliche Mitte gerückt ist.

Wohin sollen die Grünen gerückt sein? Wo standen sie denn vorher? Man möchte wissen, wo die Kommentatoren und Moderatoren, die darüber laut nachdenken, aufgewachsen sind. Welche Partei fand die Tochter ihres Zahnarztes in Castrop-Rauxel denn toll? Und wen wollte der Sohn des Architekten, der das neue Einkaufszentrum in Kiel entworfen hatte, gerne wählen? Das waren die Revolutionäre des Gymnasiums, schon klar. Aber eben doch des Gymnasiums. Deren Wunsch nach Umsturz hielt sich in übersichtlichen Grenzen.

Ein junger Mann von der CDU-Basis wollte einer Freundin von mir vor einigen Jahren einen Flyer in die Hand drücken. Sie schaute ihn an und sagte: „Ich bin eine Frau, Mitte 40, Akademikerin und lebe in dem, was von Soziologen als urbanes Zentrum bezeichnet wird. Was glauben Sie, wen ich wähle?“ Der junge Mann grinste: „Schon klar.“ Er behielt seinen Flyer.

Eine angeheiratete Cousine von mir, die ich wegen ihrer ziemlich eindeutig rechtsradikalen Ansichten immer ein wenig anstrengend finde, verkündete kürzlich, sie überlege erstmals die Grünen zu wählen. Weil sie nämlich „die Politiker“ inzwischen alle satt habe.

Bequemer als mit einer Sympathie für die Grünen war das wohlige Gefühl, ein kritischer Geist zu sein, wohl kaum je zu haben. Bei Wikipedia steht: „Als Volkspartei bezeichnet man eine Partei, die für Wähler und Mitglieder aller gesellschaftlicher Schichten und unterschiedlicher Weltanschauungen im Prinzip offen ist.“

Für alle Weltanschauungen prinzipiell offen? Ja, besser kann man die Grünen eigentlich gar nicht beschreiben: Grundsätzlich gegen Krieg und auch dafür, für Kapitalismus, aber irgendwie auch dagegen, für Bündnisse mit der CDU und ganz konsequent links. Gemessen daran ist die SPD geradezu ein Gralshüter von Prinzipien.

In einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung war neulich zu lesen, auch die Eltern derer, die schon immer auf Demonstrationen gegangen seien, engagierten sich nun gegen den neuen Bahnhof in Stuttgart. Die Eltern? Wenn das stimmt, dann hält offenbar der Umstand fit, demonstrierende Kinder zu haben. Die Eltern derjenigen, die gegen Vietnamkrieg und Nachrüstung auf die Straße gingen, sind inzwischen hoch in den 80ern.

Vielleicht glauben ja einige derer, die plötzlich die Grünen für wählbar halten, mit dieser Haltung die eigene Jugend verlängern zu können. Gegen den Wunsch danach ist nichts zu sagen. Er hat nur nichts mit Politik zu tun.

■  Die Autorin ist taz-Parlamentskorrespondentin. Foto: A. Loisier